(Musikverein, Wien, Wiener Philharmoniker unter Leonard Bernstein). Bernsteins Kompositionen sind sehr oft von Glaubensfragen kaum zu trennen. Wie seine „Mass“, seine Chichester Psalms oder die Jeremiah-Symphonie ist es auch seine „Dritte“, die Kaddish- Symphonie, die nun neben Brahms’ „Dritter“ von den Wiener Philharmonikern unter Bernstein im Musikverein erstaufgeführt wurde. „Kaddish“ ist eine aramäische Lobpreisung, ebenso Lobeshymnus zu Ende des Gottesdiensts wie der Trauergesang bei jüdischen Begräbnissen. 1957 entstanden, 1977 revidiert, ist die Symphonie eine Auseinandersetzung mit dem „Vater“, ein Sprecher (Michael Wager) hadert mit Gott, daß ihm seine Schöpfung nicht besser gelang. Der wohlstudierte Jeunesse-Chor und die Wiener Sängerknaben, die Sopranisten Hildegard Behrens und die Wiener Philharmoniker beschworen diese Vision des Zweifels. Bernstein führte das Werk mit viel Temperament auf, er ist wahrlich ein souveräner Anwalt für sein Werk. Aber über das Manko der Symphonie konnte auch er nicht hinwegtäuschen: Text und Musik sind höchst statisch. Themen und Materialien, Stilelemente von Puccini bis Mahler werden vorgeführt; aber ein musikalischer Entwicklungsbogen kommt nicht zustande.