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Gesunde Grenzen

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Herr Churchill hat das Victory-V erfunden. Frau Klinger bringt Schäferhunde mit Stehohren bei ihrem Publikum problemloser unter als solche mit Hängeohren. Auf den Werbefotos für Armbanduhren ist es immer zehn vor zwei, niemals fünf vor halb sieben.

Strichmanderlgesichter haben, wenn sie Optimismus symbolisieren sollen, Mundwinkel und

Strichaugen nach außen hinaufgebogen. Daß auch Teufelshörner nach oben weisen, tut der Anbetung der auch bei den Ab- und Umsatzkurven der Betriebe so begehrten Aufwärtslinie keinen Abbruch.

Der Mensch jedoch vergißt hie-bei Wesentliches, nämlich daß ständig in die Höhe Weisendes mit der Zeit ermüdet und fadisiert. Ein Sieg? Ist's doch nur ein abscheulicher Kampf, der eine Seite strahlen läßt und die Gefühle der anderen Partei negiert. Oder ist etwa das Elefantenohr in seiner insgesamt hängenden Position nicht einer der rührendsten, ur-viechhaften Körperteile?

Und muß nicht jede funktionierende Uhr korrekterweise genauso oft, wie sie zehn vor zwei zeigt, halb sechs signalisieren? Wie würde uns'schließlich ein ständig grinsendes Gesicht anöden?

Im Wechsel liegt daher der Reiz, im ständigen Spiel zwischen Hinauf und Hinunter, Härte und Weiche, Größe und Kleine. Das mögen sich die Wachstumsfanatiker hinter ihre Schlappohren schreiben: schon den alten Sauriern hat es nicht gutgetan, daß ihr Sinnen und Trachten nach ewig sich fort- . setzendem Wachsen — Wachsen mit dem Doppel-V, dem W, geschrieben — gerichtet war. Auch Luftballons können ein Lied davon singen, vielmehr: sie können's eben nicht mehr.

Derzeit haben sich die Größenwahnsinnigen die mit dem labil dastehenden V so konträren A beginnende Antarktis vorgenommen. Die Rufer in der Eiswüste sind mundtot gemacht, das schadenfroh grinsende, die Finger zum V formierende ölmännchen triumphiert. Mit v, nämlich vor-

übergehend.

Im Wienerlied vom alten Schimmel heißt's „Geht's bergab, sind wir alle beide froh“. Es ist natürlich einer der reaktionärsten Texte, die sich ein vor seiner Emporkurve kniender Konzernboß vorstellen kann.

Wie immer liegt das Vorbild längst in der Natur vor uns. Berg und Tal im harmonischen Wechsel, eins ohne das andere nicht denkbar. Wer immer nur hinauf will, haut sich im Raum früher oder später den Kopf an.

Je schneller, umso heftiger.

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