6980935-1986_10_15.jpg
Digital In Arbeit

Kein Kindergehot

Werbung
Werbung
Werbung

Im Katechismus, wie ihn die Älteren gelernt haben, heißt das vierte Gebot: „JDu sollst Vater und Mutter ehren, daß du lange lebest und es dir wohlergehe auf Erden.“

Das vierte Gebot ist nicht erst heute im Kreuzfeuer der Kritik. Bekannt ist das Drama von Ludwig Anzengruber mit dem Titel: ,Das vierte Gebot“. Ein Vater, der seine Tochter gegen ihren Willen mit einem Mann verheiraten will, fragt einen jungen Priester, was Kinderpflicht sei. Dieser entgegnet „Gehorchen und das Glück Gott anheimstellen“. Dadurch unterstützt er das unmenschliche Vorhaben der Eltern, was zu einer fürchterlichen Tragödie führt.

Auch manche Psychologen haben Bedenken gegen das vierte Gebot. Es spräche zu einseitig von den Pflichten der Kinder gegenüber den Eltern und verschweige die Aufgaben der Eltern gegenüber ihren Kindern. Es be*. günstige ein Fehlverhalten von Eltern, unter dem Kinder oft ein Leben lang zu leiden haben.

Da der Geltungsbereich des vierten Gebotes im Laufe der Kirchengeschichte auch auf andere Autoritäten ausgedehnt wurde, wird ihm auch vorgeworfen, zu unkritisch vorgegebene Autoritäten gestützt zu haben. ,Man bezog es ungefragt auf jeden Vorgesetzten und Herrn, auf den Landesvater ebenso wie auf den Meister im Berufsleben. Sogar Fragen des gerechten Lohnes und des Arbeitsvertrages wurden in den Hand büchernder Moraltheologie und in den Katechismen im Rahmen dieses Gebots behandelt, weil ja der Arbeitgeber Dienstherr und Vorgesetzter ist, den man zu ehren und dem man zu gehorchen hat“ (Adolf Exeler).

Die Ausweitung des vierten Gebotes entspricht sicher nicht der ursprünglichen Intention dieses Gebotes.

Welche Bedeutung hat dieses Gebot in unserer völlig veränderten Zeit? Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern haben sich vielfach gewandelt. Es bemühen sich viele Eltern und Kinder um ein sehr partnerschaftliches Verhältnis. Es gibt Väter und Mütter, die den Mut und die Fähigkeit, verloren haben, Autorität zu sein oder ihre Rolle als Vater und Mutter wahrzunehmen. Und es gibt — viel mehr als es nach außen sichtbar wird — auch Kindesmißhandlungen.

Wir möchten in den beiden nächsten Beiträgen auf die ursprüngliche Intention des vierten Gebotes und seine Bedeutung für heute eingehen. Jetzt sei nur noch eines klargestellt, was vielen nicht bewußt ist: Das vierte Gebot richtet sich wie alle anderen Gebote nicht primär an Kinder und Jugendliche, sondern an die erwachsenen Söhne und Töchter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung