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Keine Witzfigur

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Es war zu erwarten, daß die phantastische Existenz des vor fünf Jahren verstorbenen Egon Hilbert eines Tages einen Autor zu einem Buch inspirieren würde. Die Tragikomödie seines Lebens und Sterbens hätte den Stoff liefern können für einen österreichisch-wienerischen „Don Quijote", dessen Dulcinea — wenn man das so formulieren darf .— die Wiener Oper war. Aber um einen so merkwürdigen realistischen Phantasten, wie es Hilbert war, begreifbar zu gestalten, hätte es eines Dichters bedurft, der .ihn von sich aus noch einmal erfindet und mit ihm sein bitteres Leben zum zweitenmal erleidet.

Das Hilbert-Buch von Carl Merz jedoch präsentiert sich uns als eine Mischung von Reportage und Kolportage in der Form eines Schlüsselromans, zu dem der Verlag — im Klappentext — den Schlüssel gleich mitliefert. So, wie das Buch nun vorliegt, erhebt es den Anspruch, nicht nur als ein Roman über Egon Hilbert, sondern auch als eine Art Hilbert-Biographie beurteilt zu werden.

Carl Merz, der gescheite, witzige Satyriker und Kabarettist, der Mitautor des unsterblichen „Herrn Karl", hat, wie man weiß, über drei Jahre hindurch Details aus Hilberts Leben und der dazugehörigen Zeitgeschichte gesammelt — er hat sich's leider also a priori nicht leichtgemacht. Aber dann hat er leider den Versuch unternommen, all das Gesammelte mit Hilfe seines Witzes in groteske Einzelsituationen aufzulösen und aus diesen ein Buch von 288 Seiten zusammenzubasteln. Erfundene Begebenheiten, Gerüchte und Zeitungsartikel in Originalfassung, Anekdoten und nebulose Andeutungen werden mit wahren Begebenheiten unentwirrbar und unkontrollierbar in Verbindung gebracht, und das daraus entstandene Opus wird nun dem ahnungslosen Leser als ein biographischer Roman über Hilbert präsentiert (siehe Klappentext).

Der Versuch, ein Hilbert-Buch auf diese Art zu schreiben, mußte Carl Merz mißlingen, und den tieferen Grund hiefür kann man in Thomas Manns Schrift „Bilse und ich" nachlesen. Diese Schrift enthält die Rechtfertigung Manns für seinen „Schlüsselroman" („Die Buddenbrooks"), dargestellt im Vergleich mit dem Kolportage-Schlüsselroman „Aus einer kleinen Garnison" eines gewissen Herrn Bilse: „statt frei zu erfinden, sich auf etwas Gegebenes zu stützen, am liebsten auf die Wahrheit", wird hier ausdrücklich nur dem Dichter zugestanden, dem Literaten aber dergleichen entschieden abgesprochen. Und eben darum, weil der Literat Carl Merz unaufhörlich versucht hat, mehr oder minder Authentisches in seinem Buch unterzubringen, ist daraus nur eine Art Kolportageroman geworden, wurde der tragische Held — zweifellos ohne böse Absicht — zur Witzfigur, und fungieren die vielen, uns allen wohlbekannten Personen der Handlung (mit leicht verballhornten Namen) immer nur als Reifenhalter für die Pointen des Autors. — Von einer Biographie ist dieses Buch ebensoweit entfernt wie von einem Roman; für eine Biographie enthält es zuwenig Wahres, für den Roman eines Literaten zuviel.

Daß Egon Hilbert ein Opemnarr war, weiß jeder, der ihn kannte, aber der Opernwurstel, der schon den Einband ziert, war er nicht. Seine Liebe zur Oper war nicht komisch, sondern in ihrer Vorbehaltlosigkeit beängstigend; sein Sendungsbewußtsein utd sein unerschütterlicher Glaube an seine Mission waren nicht lächerlich, sondern fast unbegreiflich; sein Privatleben war nicht gspaßich, sondern vielfach unglückselig, und die Tragödie seines Endes lag wie ein Schatten über seinem ganzen Leben. Sie war immer spürbar.

Die ergreifende Geschichte des wienerischen Don Quijote, der nicht an Altersschwäche glücklich sterben durfte, sondern sich letzten Endes selbst verbrennen mußte, muß erst geschrieben werden. Und ebenso die Biographie des Österreichers Egon Hilbert.

DER OPERNNARR. Von Carl Merz. Amalthea-V erlag, Wien, 288 Seiten.

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