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Küssen verboten!

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„Ein Skandal sondergleichen!", empörte sich Frau Sarah Doron, die Vorsitzende der Likud-Fraktion in der Knesset und richtete schnurstracks drei gehamischte Protest-Telegramme an den Ministerpräsidenten Jitzak Schamir, Verteidigungsminister Moshe Arens und Religionsminister Avner Schaki. Der Skandal, der gemeint war, erhitzt wieder einmal die ohnehin strapazierten Gemüter der Israelis in diesem überdurchschnittlich heißen Sommer.

Es handelt sich darum, ob in diesem Jahre 5.000 Burschen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren ihre Zeremonie zum Abschluß ihrer paramilitärischen Sommerlageran der Klagemauer abhalten dürfen. Die „Gadna" (Bezeichnung dieser Jugendorganisation) steht unter Betreuung des Verteidigungsministeriums und die militärische Ausbildung wird von Armee-Offizieren besorgt. Praktisch gehören fast sämtliche Jugendliche diese Alters der „Gadna" an. Bereits seit 13 Jahren findet die Abschlußzeremonie des Sommerlagers dieser Organisation an der „heiligsten Stätte des Judentums", der Klagemauer, statt. Bei einer solchen Zeremonie treten die Jugendlichen in militärischer Ordnung an. Burschen und Mädchen betreten gleichzeitig den großen Platz, der Befehlshaber der „Gadna" spricht zu ihnen, ein Rabbiner spendet seinen Segen, und die Teilnehmer verlassen wieder gemeinsam den Platz. So weit, so gut.

Doch angeblich sollen im verflossenen Jahr während der Zeremonie „fürchterliche Dinge" passiert sein: Die Mädchen seien „unzüchtig" bekleidet gewesen, und man habe sogar ein oder zwei Pärchen beim Küssen ertappt! Der „Rabbiner der Klagemauer", Jehuda Getz, sagt klipp und klar, daß extreme Elemente Drohungen ausstoßen. Bis zu diesem Jahr mischte sich Getz gar nicht in Dinge dieser Art ein und galt als tolerant und gemäßigt. Aber in diesem Sommer geriet er unter zunehmenden Druck von Seiten ultra-orthodoxer undmili-tanter jüdischer Fundamentalisten, denen diese Zeremonie schon lange ein Greuel ist. Eine ganz besondere Sünde ist in deren Augen, daß es während der Zeremonie keine physische Trennung zwischen den Geschlechtem gibt sowie daß die Mädchen „unzüchtig" umherlaufen, wie es allerdings in Israel als Normal-Kleidung üblich ist.

Geschlechtertrennung

Vor kurzem besprachen sich die „Gadna"-Offiziere mit RabbinerGetz, und man ging in bestem Einvernehmen auseinander. Aber plötzlich meldete Getz eine gänzlich neue ultimative Forderung an: Die Mädchen und Burschen dürfen nicht gemeinsam den Platz betreten beziehungsweise verlassen und um Himmels willen nicht gemeinsam auftreten. „Wenn nicht, könnte es zu einem Blutvergießen kommen", soll Getz seinem „Gadna"-Partner gesagt haben. Dieser empörte sich: „Die Armee hat ja die Klagemauer befreit, und jetzt soll ihr nicht einmal erlaubt sein, dort eine Zeremonie abzuhalten?" Danach hagelte es Proteste von beiden Seiten; die einen befürworteten eine Entschärfung durch Kleinbeigeben, der Großteil der allgemeinen Meinung ist aber gegen die orthodoxen Religionsfanatiker aufgebracht und verlangt, so weiter zu machen wie bisher.

Im Grunde geht es nur wenig um die Klagemauer. Die militanten Sittenwächter haben es sich seit langem zu eigen gemacht, den „weltlichen", das heißt nicht religiösen Einfluß zu-■ rückzudrängen, wann und wo immer möglich. Der Vorfall an der Klagemauer ist nur ein kleiner Abschnitt, der die tiefe Kluft charakterisiert, die zwischen den über 80 Prozent der nichtreligiösen und den weniger als 20 Prozent zählenden religiösen Ultras besteht und die von Jahr zu Jahr an Tiefe und Breite zunimmt.

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