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Kulturzeitschrift -unbekanntes Wesen

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Was ist eigentlich Kultur? Ganz sicher ein überstrapazierter Begriff. Was noch? Etwa alles, was in keine naturwissenschaftliche Schublade paßt und trotzdem 999 von tausend Zeitgenossen langweilt? Oder das, was sich auf den sogenannten Kulturseiten der Zeitungen abspielt? Wir kennen ein vielzitiertes Nachrichtenmagazin, bei dem selbst ärztliche Standespolitik nebst Mode und allem Technischen unter Kultur aufscheint. Und im tausendjährigen Reich trugen Landser und Hitlerjungen im „Kulturbeutel“ Waschlappen, Zahnbürste und, soweit noch vorhanden, Zahnpaste durch die Weltgeschichte. Oder deckt sich der Inhalt des Begriffes Kultur etwa noch immer mit dem Zuständigkeitsbereich der klassischen Damen Musen? Nähern wir uns dem Problem pragmatisch — lassen wir einmal Kultur alles sein, was sich in den sogenannten Kulturzeitschriften abspielt.

Blättert man die jeweils letzten Hefte von drei österreichischen Kulturzeitschriften durch, könnte man zu einem neuen Definitionsansatz kommen: Kultur ist jedenfalls etwas, was sich 999 von tausend Zeitgenossen entgehen lassen, ohne sich auch nur im geringsten dafür zu interessieren, was ihnen dabei entgeht, aber dabei etwas, was zumindest einen Prozentsatz dieser Gleichgültigen durchaus faszinieren könnte — würden sie die Begegnung wagen.

Kulturzeitschriften können sogar mit Sensationen aufwarten — wenn man die Entdeckung eines total unbekannten Dichters, den die Massenmedien demnächst vereinnahmen werden, wenn er sich läßt, als solche akzeptiert. Vor uns liegt das neueste Heft der „Pannonia“, die sich, von den beiden anderen abweichend, nicht „Kulturzeitschrift“, sondern „Magazin für europäische Zusammenarbeit“ nennt. JoSo Gdllob, der vor langer Zeit spurlos aus Wien verschwand und in sein slowenisch-kärntnerisches Heimatdorf zurückkehrte, schreibt eine an Bildern und Assoziationen reiche, gedanklich äußerst präzise Lyrik, scharfgeschliffene „Aphorismen“, aber auch liebenswert-groteske, dem Leben abgehorchte Lautmalereien: „Habemus poetam!“ Ein Blick auf die violetten Mittelseiten des neuen „Pannonia“-Heftes genügt, um zu wissen, daß der Erfolg dieses Dichters nicht mehr aufzuhalten ist, ob er sich ihm nun aussetzt oder nicht.

Während „Pannonia“ von der Eisenstädter Edition Roetzer herausgegeben wird, erhalten die Kulturreferate der Landesregierungen von Kärnten und Tirol eigene Kulturzeitschriften: Kärnten „Die Brücke“, Tirol „Das Fenster“. Die Titel sind, was hier aber nicht als Negativum gelten mag, austauschbar. Findet man in „Pannonia“ in einem Aufsatz von Jena Takäcs Unbekanntes über Bela Bartök und unbekannte Photos von ihm, so wandelt über die „Brücke“ Anton Fuchs auf den Spuren von Alban Berg in Kärnten. Es mag paradox klingen, aber Kulturzeitschriften bieten gerade dem gehetzten Zeitgenossen mit höheren Interessen, was er braucht — sie schließen, mit Essays, die Lücke (oder besser das riesige Loch) zwischen Zeitungsartikeln, die ihm umfang- wie niveaumäßig nicht genügen, und Büchern, für die er nicht genug Zeit oder Geld hat. Hier könnte ein Marketing für die zu Unrecht als exklusiv verschrieenen Kulturzeitschriften ansetzen.

Während die „Brücke“ in ihrem Heft 1, abgesehen von einer großen Würdigung Ingeborg Bachmanns, vor allem Architekturthemen behandelt, sticht, im „Fenster“, nebst vielen interessanten und wichtigen Themen, deren bloße Aufzählung langweilig wäre, ein Beitrag in die Augen, der zumindest zu denken gibt: Wien als Tiroler Emigrantenzentrum — Tiroler in Wien, von Julia Gschnitzer bis Professor Gatterer, von ORF-General Oberhammer bis Sektionschef Peterlunger, ziehen Vergleiche zwischen den beiden Städten, kritisch, aber ohne Bosheit.

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