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Politiker und Showgeschäft

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In Sarajewo breitet sich der Hunger aus; auch in kroatischen und slowenischen Lagern hungern Flüchtlinge aus den Kampfgebieten in Bosnien. Neulich brachte das Fernsehen Bilder einer weinenden Frau, die um ein paar Stücke Brot für ihre Kinder flehte. Ein paar Stunden später konnte man in „Wetten, daß...?" mitbangen, ob es einem einfallsreichen und ungemein wagemutigen Menschen gelingen werde, über eine „Piste" roher Eier zu fahren, ohne daß eines zerbrach.

Es tauchen in dieser Sendung ja die merkwürdigsten Leute auf, und wie mir berichtet wurde, soll sich eine Art Stuntman sogar in einer Waschmaschine faserschmeichelnd durchwalken haben lassen, sodaß er vom Showmaster Thomas Gottschalk anschließend „wie neu" präsentiert werden konnte.

Der umworbene Showmaster gab letzten Sonntag seine Abschiedsvorstellung, weil ihm ein anderer Sender ein paar Millionen mehr bietet. Doch nicht deshalb wagte ich einen längeren Blick auf dieses Programm, es interessierte mich auch nicht gerade brennend, ob der Eierläu-fer auf Schiern seine Wette erfolgreich bestand - nein: Ich wollte unseren Kanzler sehen! Denn als Prominenter war diesmal neben Catherine Deneuve und Elton John auch Franz Vranitzky eingeladen.

Also: Es gab ein paar zerbrochene Eier, der Kanzler verlor seine Wette und muß nun, den Spielregeln entsprechend, etwas Ausgefallenes tun. Er wird als einstiger Korbballspieler wieder in den Dreß schlüpfen und mit einer Mannschaft spielen. Das Geld, das die Zuschauer für den Eintritt zahlen, wird einem guten Zweck zugeführt.

Während der ganzen Sache, als der Schifahrer die Eier mit einem Gleitmittel besprühte, habe ich mich gefragt, wieviele Eier der Mann schon zerbrochen haben muß, ehe er das Wagnis einging, mit seiner Idee in einer populären Sendung aufzutreten.

Ich fragte mich auch, was zum Beispiel hungernde Flüchtlinge denken, wenn sie so etwas sehen. Denn wenn es schon, hoffentlich nur kurzfristig, mit der Verlagerung von Nahrungsmitteln aus unserer Überflußgesellschaft in nahegelegene Flüchtlingslager nicht funktioniert - vielleicht bekommen die Flüchtlinge wenigstens unser Fernsehen zu Gesicht, damit sich der Magen beruhigt.

Was unser Kanzler dachte, als er tags darauf wegen der Bosnien-Flüchtlinge eine Sitzung des Krisenmanagements der Regierung einberief, weiß ich nicht. Möglicherweise denkt er, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Möglicherweise hat er sogar recht. Und dennoch: Ist es der Popularität wirklich so zuträglich, wenn Politiker glauben, sie müßten auch als Showtalent präsent sein? Und wo liegen die Grenzen für diese Art der Persönlichkeitsdarstellung?

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