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Rechtspanscherei im Weinskandal ?

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An die 60 verdächtige Personen aus der „Glykol-Branche“ wanderten bislang hinter „schwedische Gardinen“. Nur wer redet, so scheint es, darf wieder nach Hause gehen.

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An die 60 verdächtige Personen aus der „Glykol-Branche“ wanderten bislang hinter „schwedische Gardinen“. Nur wer redet, so scheint es, darf wieder nach Hause gehen.

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Die durch den Weinskandal ausgelöste Verhaftungswelle unter den Weinpanschern stieß in der Bevölkerung auf große Sympathien. Begünstigt durch die öffentliche Meinung wurden aber auch Äußerungen von Vertretern der mit dem Weinskandal befaßten Ermittlungsbehörden kolportiert, denen ernsthaft entgegengetreten werden muß.

Gemeint sind damit jene Aussagen, die den höchst unseligen Anschein eines bestimmten Zusammenhangs zwischen dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr und dem Geständnis erweckten, das — so stand es jedenfalls in einigen Gazetten zu lesen — als Voraussetzung für den Wegfall der „Verdunkelungsgefahr“ und damit als Grundbedingung für eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angesehen wurde.

Mag diese Auffassung auch in der Bevölkerung große Sympathien genießen, dem Gesetz entspricht sie jedenfalls nicht.

Die Strafprozeßordnung schreibt ausdrücklich vor, daß der Beschuldigte, wenn er die Aussage verweigert, niemals — in welcher Form auch immer — zur Aussage gezwungen und auch nicht durch Versprechungen, Vorspiegelungen, Drohungen oder gar Zwangsmittel zu einem Geständnis verhalten werden darf.

Der Beschuldigte hat also das Recht, zu schweigen, und dieses Recht ist von der Strafprozeßordnung anerkannt und geschützt. Dieselbe Strafprozeßordnung kann daher schon aus rein logischen Gründen nicht mit Zwangsmittein verhindern wollen, daß von diesem Recht auch Gebrauch gemacht wird, und der Gesetzgeber wollte das auch gar nicht.

Die Aussage des Beschuldigten ist nur eines von vielen Beweismitteln, und der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr dient der Sicherung aller möglichen Beweismittel, nicht aber des Geständnisses.

Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr ist vielmehr nur dann gegeben, wenn „aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte auf freiem Fuß versucht, Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte zu beeinflussen, die Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Wahrheitsfindung zu erschweren“.

Schweigt der Beschuldigte, so macht er von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch. Darin kann freilich keine „Erschwerung der Wahrheitsfindung“ gesehen werden, und dieser Umstand allein ist auch keine hinreichende Bedingung für die Annahme, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß Verdunkelungshandlungen setzen. Dazu bedarf es vielmehr darüber hinausgehender, konkreter

Verdachtsmomente.

Wäre es anders, würde die wegen Verdunkelungsgefahr verhängte Untersuchungshaft zu einer reinen Beugehaft degenerieren. Als solche war sie nie gedacht.

Im Gegenteil: der Gesetzgeber hat eine Fülle von Kautelen in das Gesetz aufgenommen, die gerade dieser Gefahr entgegenwirken und sicherstellen sollen, daß die Untersuchungshaft keinesfalls den Charakter einer Beugehaft annimmt.

Dabei ist interessant, daß der Gesetzgeber dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr offenbar geringeres Gewicht beigemessen hat als den Haftgründen der Flucht und Wiederholungsgefahr, da er die zulässige Höchstdauer einer Untersuchungshaft, die nur auf dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr beruht, für den Normalfall mit zwei Monaten festsetzte, während die auch oder ausschließlich aus einem anderen Grund verhängte Untersuchungshaft im Normalfall bis zu sechs Monaten dauern darf.

In Ausnahmefällen kann die Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr mit Genehmigung des Gerichtshofs zweiter Instanz bis zu drei Monaten, die auch oder ausschließlich aus einem anderen Grund verhängte Untersuchungshaft aber bis zu einem Jahr, bei Kapitalverbrechen sogar bis zu zwei Jahren dauern.

Gerade in Anbetracht der durch den Weinskandal aufgebrachten öffentlichen Meinung ist es erforderlich, auf die engen Grenzen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr hinzuweisen.

Schwerer Eingriff

Dazu kommt, daß die legisti-schen Bemühungen der jüngsten Vergangenheit durchaus in die Richtung einer Einschränkung der Untersuchungshaft gingen, handelt es sich doch dabei um den wohl schwerstwiegenden vom Gesetz, her zulässigen Eingriff in die Rechte von Personen, für die bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung der Menschenrechtskonvention gilt.

Die Untersuchungshaft ist schon deshalb das falsche Mittel, um etwaige Rachegelüste der Bevölkerung zu kanalisieren.

Freilich ist es in Zeiten allgemeiner Hysterie auch für Strafverfolgungsbehörden wirklich nicht leicht, kühlen Kopf und Augenmaß zu bewahren. Gerade deshalb ist es wichtig, einige derzeit vielleicht unpopuläre Tatsachen aufzuzeigen und darauf hinzuweisen, daß es den Haftgrund des „durch eine strafbare Handlung verursachten großen öffentlichen Ärgernisses“ vom Gesetz her nicht gibt.

Es sollte ihn auch de facto nicht geben, denn es wäre schade, wenn durch eine Affäre wie den Weinpanscherskandal auch rechtsstaatliche Einrichtungen und Garantien verwässert würden.

Der Autor ist Assistent am Institut für Strafrecht der Universität Wien.

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