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Reisedevisen, die alljährliche Prozedur

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Kaum haben die Bürger der CSSR die zwischen Eigenlob und neuen Leistungsparolen schwankenden Ansprachen ihrer Regierenden am Jahresbeginn hinter sich gebracht, wendet sich ihre Aufmerksamkeit einem sehr viel bedeutsameren Problem zu: den Reisedevisen. Wer im Jahr 1977 in ein „kapitalistisches” Land oder auch nur nach Jugoslawien fahren will, muß sich sputen, auf vorgedruckten Formularen der Staatsbank seine Reisewünsche einzutragen. Ist der Antrag glücklich abgeliefert beginnt eine nervenverzehrende Wartezeit - und zu Frühlingsanfang, am 21. März, erfolgt die Devisenzuteilung.

Oder auch die Ablehnung des Antrags. Wer in den vergangenen zwei oder drei Jahren bereits zu den Glücklichen zählte, kann sich die Mühe eines neuen Antrags ersparen. Vier Jahre Zwischenraum sind erforderlich. Der Fundus ist klein und muß sorgsam auf möglichst viele Bewerber verteilt werden. Viele ziehen die Küste Jugoslawiens vor, wo man sich mit Freunden und Verwandten aus dem Westen trifft und obendrein auf Campingplätzen relativ billig Unterkunft findet. Auch der Dinar ist aber eine harte Währung und die Grenzen Jugoslawiens nach Italien und Österreich sind nicht so verriegelt, wie die Oberen der CSSR es wohl gerne sähen.

Es muß also nicht nur zahlenmäßig, sondern auch nach dem Gesichtspunkt politischer Zuverlässigkeit gesiebt werden. Betrieb oder Schule, „gesellschaftliche”, sprich: politische Organisationen und schließlich auch die Gemeindebehörden müssen ihr Einverständnis erklärt haben. Ein Strom von Protektionen und Interventionen rauscht jetzt mit den Früh- jahrswassem durch das Land. Wo alles fast oder ganz gratis ist, ist alles doppelt so teuer.

Herauskommt schließlich die bescheidene Summe von 11 Dollar pro Kopf und Tag, jeder Dollar mehr als doppelt so teuer bewertet, wie jener, den der Westreisende an der CSSR- Grenze eintauschen muß. 220 Dollar sind das Reisemaximum - es reicht gerade noch für Benzin und Ansichtskarten. Die Verpflegung für 3 Wochen muß der Škoda mit sich führen. Sie sind meist keine armen Leute mehr, die Touristen aus der CSSR, aber im Westen müssen sie wie Bettler leben.

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