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Schwitzen und frieren

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Obwohl das SED-Regime in den letzten Jahren einige spektakuläre Amnestien erlassen hat, stieg die Zahl der politischen Häftlinge in der DDR erneut auf über 8000. Trotz des Freikaufs einiger tausend DDR-Häftlinge durch die deutsche Bundesregierung war 1975 die Zahl der in der DDR-Einsitzenden größer als 1974. In gut unterrichteten westlichen Kreisen kam man zu der Schlußfolgerung: Die DDR .verhaftet auf Vorrat, um Devisen zu erwerben. Denn Bonn zahlt für jeden Gefangenen den Durchschnittspreis von 40.000 D-Mark an die DDR-Behörden.

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Obwohl das SED-Regime in den letzten Jahren einige spektakuläre Amnestien erlassen hat, stieg die Zahl der politischen Häftlinge in der DDR erneut auf über 8000. Trotz des Freikaufs einiger tausend DDR-Häftlinge durch die deutsche Bundesregierung war 1975 die Zahl der in der DDR-Einsitzenden größer als 1974. In gut unterrichteten westlichen Kreisen kam man zu der Schlußfolgerung: Die DDR .verhaftet auf Vorrat, um Devisen zu erwerben. Denn Bonn zahlt für jeden Gefangenen den Durchschnittspreis von 40.000 D-Mark an die DDR-Behörden.

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In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert: Für den Freikauf politischer Gefangener aus der DDR hat die Bundesregierung von 1969 bis 1974 mindestens 265 Millionen Mark an Ost-Berlin gezahlt. Verrechnet wird das Kopfgeld über einen Geheimfonds, über den im Bundeshaushalt die Mittel zur „Förderung der Grundanlagen- und Bildungsarbeit sowie von Maßnahmen im Bereich der innerdeutschen Beziehungen und der Grenzgebiete“ fließen. Wie die hier folgende Aufstellung zeigt, sind die Einnahmen der DDR aus diesem Handel beachtlich. 1969: 48,30 Millionen Mark, 1970: 54,15 Millionen Mark, 1971: 92,53 Millionen Mark, 1973: 34,04 Millionen Mark und 1974: 35,30 Millionen Mark.

Wie jetzt in West-Berlin eingetroffene „Freigekaufte“ berichten, herrschen in der DDR-Zuchthäusern geradezu katastrophale Verhältnisse. Grundsätzlich werden die „Politischen“ schlechter behandelt als die gemeinsten Mörder. Die Zellen sind kalt, feucht und voll von Ungeziefer. Ubereinstimmend berichteten die ehemaligen Häftlinge von immer noch existenten „Tigerkäfig“-Zellen

unterhalb der Erde, von totaler Isolationshaft, von Schlägen, minderwertiger und völlig unzureichender Verpflegung, der Nichtbehand-lung von Krankheiten, vom tagelangen Stehen in mit Wasser gefüllten Zellen, von unterschiedlich temperierten (Hitze- oder Kälte-)Zellen und einem abgestuften System psychischer Mittel zur Zermürbung und „Komplettierung von Aussagen“. Indem Häftlingen Vergünstigungen versprochen werden, die Unterbringung in einer erleichterten Strafvollzugskategorie zugesagt wird, Verwandten- oder Bekanntenbesuch angedeutet, oder zumindest Brief-und Paketkontakte vorgeblich erlaubt werden, will die Parteijustiz auch den härtesten Willen, den entschiedensten Widerstand brechen, um sich gehorsame und fleißige Werktätige für die sozialistische Produktion zu erziehen.

Ehemalige Häftlinge des Zuchthauses Cottbus haben beispielsweise die Zustände in der völlig überfüllten Strafanstalt geschildert. Das für 600 Gefangene eingerichtete Zuchthaus Cottbus sei völlig überbelegt. In den Zellen seien inzwischen vier

Betten übereinander gestellt worden, nachdem man die Beine der unteren Betten gekürzt hatte. Auf diese Weise seien dort 1200 Häftlinge untergebracht worden. Die kulturelle Betreuung der Gefangenen habe wegen dieser Überlegung eingestellt werden müssen. Der Kinosaal sei zu einem Massenquartier für 60 Häftlinge umgebaut worden. Die täglichen Essenrationen bestünden aus 10 Gramm Butter, 15 Gramm Margarine, 20 Gramm Wurst, 50 Gramm Marmelade, dazu Malzkaffee, Brot und eine als Ein-topf deklarierte dünne Kohlsuppe als „warme Mahlzeit“. Zuwiderhandeln gegen die Zuchthausordnung werde ausnahmslos mit Arrest bestraft. Das bedeute Dunkelhaft, Holzpritschenlager, täglich drei Scheiben trockenes Brot, drei Becher Malzkaffee, dazu jeden dritten Tag eine Handvoll Kartoffeln.

In diesem Zusammenhang wurde auch aus zuverlässiger Quelle bekannt, daß der DDR-Sicherheitsdienst in den Strafvollzugsanstalten der DDR die seelsorgerische Betreuung der Häftlinge untersagt hat und statt dessen in verstärktem Maße Politinformationen durchführt. So fand beispielsweise im Zuchthaus Cottbus, das zu 80 Prozent mit politischen Häftlingen belegt ist, der letzte Gottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag 1973 statt. Seither wurde die Gefangenenseelsorge eingestellt. Ehemalige Häftlinge dieser Anstalt berichteten, daß den Gefangenen trotz der in der DDR verfassungsrechtlich garantierten Glaubensfreiheit die Bibel verweigert wird.

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