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Hilfeschreie aus Folterzellen

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Sie werden geprügelt und schikaniert, gefoltert und erschlagen. Sie müssen hungern und frieren, schwer arbeiten und sich medizinischen Untersuchungen unterwerfen. Sie vegetieren hinter Mauern und Stacheldraht und erleben eine unmenschliche Welt hinter Gittern: die derzeit 8000 politischen Gefangenen in der DDR.

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Sie werden geprügelt und schikaniert, gefoltert und erschlagen. Sie müssen hungern und frieren, schwer arbeiten und sich medizinischen Untersuchungen unterwerfen. Sie vegetieren hinter Mauern und Stacheldraht und erleben eine unmenschliche Welt hinter Gittern: die derzeit 8000 politischen Gefangenen in der DDR.

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190.000 politische Prozesse fanden in den vergangenen 25 Jahren gegen Deutsche aus beiden Teilen Deutschlands in der DDR statt. Dabei wurden 194 Todesurteile verkündet, die meisten auch vollstreckt. Bis zum heutigen Tage versucht die SED-Justiz den geringsten Schein eines Widerstandes mit drakonischen Maßnahmen zu unterdrücken. In einem erschreckenden Ausmaß wurde dabei deutlich, daß sich die Situation der politischen Häftlinge seit dem Beginn der Entspannungspolitik nicht erleichtert, sondern vielmehr verschärft hat und noch unmenschlicher geworden ist.

Jeder im freien Westen sollte wissen, daß Häftlinge in der DDR kaum die Möglichkeit haben, sich gegen die täglichen Schikanen des Wachpersonals zu wehren. Ausschreitungen der Gefängniswächter gegenüber Gefangenen sind in jeder mitteldeutschen Strafvollzugsanstalt an der Tagesordnung.

Bevor sie ihre Essenschüssel gefüllt bekommen, müssen jeden Morgen zwanzig politische Häftlinge eines Zellenhauses der Strafvollzugsanstalt Cottbus niederknien. Wenn der Schließer die Zellentür öffnet, müssen alle mit gefalteten Händen den täglichen Spruch herbeten: „Ich bin ein großes Schwein! Ich bin ein Verräter!“ Erich Krämer, verurteilt zu zehn Jahren und seit vier Jahren in Cottbus, ertrug diese Erniedrigung nicht mehr und verweigerte das befohlene „Morgengebet“. Nachts kamen sie dann in seine Zelle, zwei Wärter mit Gummiknüppeln. Erbarmungslos schlugen sie auf Krämer ein, traten ihn mit ihren Stiefeln ins Gesicht und bearbeiteten ihn mit ihren Fäusten. Die verzweifelten Schreie des Mißhandelten hörten noch die Gefangenen am anderen Ende des Zellenhauses. Dann plötzlich hörten sie nichts mehr. Zwei Tage lang ließ man Krämer ohne ärztliche Hilfe, ohne Nahrung, unbeachtet in seiner Zelle. Mitgefangene hörten ihn stöhnen. Die Wärter grinsten. Man nennt das sozialistische Umerziehung. Die Methode hat Erfolg. Jetzt spricht auch Erich Krämer wieder das befohlene „Morgengebet“.

In den Zuchthäusern des SED-Staates werden politische Häftlinge aber auch systematisch erschlagen. Ein solcher Fall wurde jetzt aus dem berüchtigten Zuchthaus Bautzen bekannt. Während einer sogenannten Freistunde erhielt am 28. November

1974der zu fünf Jahren Haft verurteilte 36jährige Klaus Weng auf dem Zuchthaushof einen Schwächeanfall und taumelte aus der Häftlingskolonne heraus. Obwohl bekannt war, daß Weng an einem Gehirntumor litt, schlugen sofort drei Wärter mit ihren Gummiknüppeln auf ihn ein und bearbeiteten den Häftling mit Füßen und Fäusten. Dann schleppte man ihn blutüberströmt zur „Sonderbehandlung“ in den Zuchthauskeller. Am Morgen des 29. November 1974 brachten Zuchthaus Wärter den leblosen Körper Wengs auf einer Bahre in den Leichenkeller. Man hatte den kranken Häftling Klaus Weng erschlagen.

Im Haus II des berüchtigten Zuchthauses Bautzen wurde am 5. März

1975der 26jährige Haftung Otto Aschenbach von Offizieren des Wachpersonals erschlagen. Der politische Gefangene Aschenbach hatte gegen einen Offizier des Wachpersonals aufbegehrt und es kam zu einem Handgemenge. Zehn Gefängniswärter stürmten daraufhin in die Zelle, fesselten den sich immer noch wehrenden Häftling und zogen ihn — seinen Kopf am Boden schleifend — in eine leerstehende Nebenzelle. Man kettete den Gefangenen an den Heizungskörper an und schlug dann pausenlos mit Gummiknüppeln auf ihn ein. Otto Aschenbach wurde erschlagen.

Auch weibliche Häftlinge sind in den DDR-Zuchthäusern den täglichen Schikanen und Folterungen des Wachpersonals ausgeliefert. Im Frau-engefängnis Hoheneck wurde am 16. November 1975 die 34jährige Inge Zander von zwei Wärterinnen so zusammengeschlagen, daß sie kurz danach mit schweren innerlichen Verletzungen in das Krankenrevier gebracht werden mußte. Inge Zanders Vergehen bestand darin, daß sie Beschwerde über das oft nicht genießbare Essen geführt hatte. Dafür trat man sie in den Unterleib und schlug ihr einige Zähne aus. Nach der Entlassung aus der Krankenabteilung erhielt die körperlich geschwächte Gefangene für ihr „ungehorsames Verhalten“ fünf Wochen verschärften Arrests. Während dieser Zeit muß die Gefangene etwas Furchtbares erlebl haben; denn Inge Zander spricht nicht mehr. Stumm und völlig apathisch führt die gebrochene Frau heute jede Anordnung des Wach-personals aus.

In das Zuchthaus /Brandenburg kommen alle zwei Monate vier Militärärzte in Zivil aus Ostberlin. Ihr Ziel ist das Haus 3 des Gebäudekomplexes. Die für die medizinischen Versuche ausgewählten Gefangener können sich nicht gegen die Eingriffe wehren. Bereits vor dem Eintreffen der Ärzte erhalten sie Injektionen durch die sie in einen tranceähnlichen Zustand versetzt werden. Ubei die Versuche wird genau Buch geführt.

Derzeit sind die DDR-Haftanstalten mit mehr als 8000 politischen Gefangenen wieder übervoll belegt Uber 4000 von ihnen sind wegen de: „Delikts der Republikflucht“ nach den 213 und 105 StGB DDR verurteilt; andere wegen „staatsfeindliche! Hetze“ ( 226), „Widerstand geger staatliche Maßnahmen“ ( 212) unc „Beeinträchtigung staatlicher odei gesellschaftlicher Tätigkeit“' ( 214)

Gut informierte westliche Kreise konnten in letzter Zeit die Feststellung machen, daß sich die Staatsanwälte der DDR durch besonders haßerfüllte Tiraden gegenüber den sogenannten „Republikflüchtigen“ auszeichnen, obwohl sie genau wissen daß das „Republikflucht-Gesetz“ völkerrechtswidrig ist. Jede Verurteilung wegen „Republikflucht“ stell' eine völkerrechtswidrige, kriminell Handlung dar, die nicht weniger kriminell ist als der Schießbefehl unc der Mord an der Mauer und am Stacheldraht durch Minen und Schieß' automaten.

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