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Sicherheitsdefizit

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In der Steiermark und in Tirol wurden 1974 — auf die Einwohnerzahl bezogen — die wenigsten Verbrechen gegen Leib und Leben verübt, in Kärnten dagegen die meisten. In Oberösterreich liegt die Zahl der Verbrechen gegen die Sittlichkeit weit über dem österreichischen Durchschnitt, im Burgenland weit darunter. Überdies aber wurden im Burgenland die wenigsten Verbrechen gegen das Vermögen registriert, in Wien dagegen die meisten, so viele wie im Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark zusammengenommen.

Unter dem Eindruck von Geiselnahmen, Terroranschlägen, Flugzeugentführungen, Brandschatzungen und Kidnapping prominenter Persönlichkeiten nimmt sich dieser Sicherheitsbericht fast schon beschaulich aus. 1974 wurden insgesamt 107.313 Verbrechen gegen Leib und Leben, die Sittlichkeit und das Vermögen angezeigt, davon allein 101.586 Verbrechen gegen das Vermögen, also 95 Prozent aller Verbrechen. Zwischen 1954 und 1974 ist die Zahl der wegen eines Gewaltdelikts verurteilten Personen nur um 4 Prozent, die der wegen eines Vermögensdeliktes verurteilten Personen dagegen um fast 40 Prozent, also zehnmal so stark, gestiegen.

Auf den ersten Blick widerlegt der Sicherheitsbericht des Innenministeriums die meisten Befürchtungen über ein starkes Ansteigen von Verbrechen. So wurden 1974 „nur“ 79 Morde und 96 Mordversuche, insgesamt 175 Fälle, bekannt. Der Anteil dieser beiden Schwerverbrechen an den Verbrechen gegen Leib und Leben beträgt kaum 5 Prozent. Auf je 100.000 Einwohner entfielen rund zwei Morde oder Mordversuche. In internationaler Sicht nimmt Österreich damit einen Spitzenplatz unter den sicheren Staaten der westlichen Welt (der Ostblock veröffentlicht keine Sicherheitsstatistiken) ein. Selbst die Aufklärungsquote bei Mord, Mordversuch, Totschlag und schwerer körperlicher Beschädigung ist sehr beachtlich. Weniger als einer von zehn Morden bleibt ungesühnt, fast jeder Mordversuch und jeder Totschlag wird geahndet.

Die Schändung bleibt das häufigste unter den Verbrechen gegen die Sittlichkeit. Ihre Aufklärungsquote liegt bei immerhin 48 Prozent, dies sagt aber insofern wenig aus, als hier wahrscheinlich die wenigsten Verbrechen auch tatsächlich angezeigt werden. Wie überhaupt der Sicherheitsbericht des Innenministeriums kein Wort über Dunkelziffern verliert, nicht einmal Schätzungen werden preisgegeben.

Das weltweite Phänomen einer stark zunehmenden Unsicherheit wirkt sich in Österreich nur in Form der rasch steigenden Verbrechen gegen das Vermögen und der äußerst geringen Aufklärungsquoten aus. 1974 wurden in Österreich 90.771 Diebstähle angezeigt, um 10 Prozent mehr als ein Jahr davor. Auf 100.000 Einwohner entfielen rund 1214 Diebstähle, meist von Kraftfahrzeugen und in Kraftfahrzeugen befindlichen Gegenständen (33.563 im Jahr 1974 bekanntgewordene Fälle).

Eine verhältnismäßig bescheidene Rolle spielt dagegen die Raubkriminalität. Die häufigste Erscheinungsform ist der Straßenraub mit einem Anteil von mehr als einem Drittel an den bekanntgewordenen Fällen. Geldinstitute und Postämter wurden in 17 Fällen überfallen, Taxifahrer waren 1974 in vier Fällen Opfer eines Raubüberfalles. Schließlich aber wurden 1974 auch 8110 Verbrechen des Betruges angezeigt; ihr Anteil an allen Verbrechen gegen das Vermögen beträgt rund 8 Prozent. Auf, 100.000 Einwohner entfielen rund 108 Delikte dieser Art.

Die Auf klärungsquote bei den Verbrechen gegen das Vermögen bestätigt das Vorhandensein eines diesbezüglichen Sicherheitsdefizits. 1974 wurden in Österreich nur 29 Prozent der Diebstähle aufgeklärt, bei den Einbruchsdiebstählen waren es nur 26 Prozent. 40 Prozent aller Raubüberfälle blieben laut Sicherheitsbericht unaufgeklärt.

Beispielsweise wird in Wien nur jedes fünfte Verbrechen gegen das Vermögen aufgeklärt, im Burgenland, in Oberösterreich und Salzburg immerhin mehr als die Hälfte. Tatsächlich liegt selbst die Aufklärungsquote bei Verbrechen gegen die Sittlichkeit in Wien nur knapp über 50 Prozent und bleibt in Wien selbst jeder fünfte Mord, Mordversuch oder Totschlag ungesühnt. Das alles verrät der Sicherheitsbericht des Innenministeriums nur zwischen den Zeilen, wie er sich in der Kommentierung überhaupt äußerst zurückhaltend gibt. So, als wäre die gesellschaftspolitische Relevanz der Verbrechen eine Sache, die niemanden und schon gar nicht das Innenministerium etwas angeht...

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