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„Trick'6 mit Maut: Staat als Freibeuter

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In einem Gutachten sucht Hans R. Klecatsky den Nachweis für die Verfas-sungs- und Gesetzwidrigkeit einer Straßenmaut nach Art der Felbertauern-maut zu führen.

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In einem Gutachten sucht Hans R. Klecatsky den Nachweis für die Verfas-sungs- und Gesetzwidrigkeit einer Straßenmaut nach Art der Felbertauern-maut zu führen.

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In zunehmendem Maße und über weite Strecken hin hat sich der Staat dort, wo er wirtschaftend auftritt - gleich, ob als Bund, Land, Gemeinde oder Gesellschaft, Anstalt, Stiftung —, dem verfassungsrechtlichen Len-kungs- und Kontrollsystem entzogen.

Grundlage für diese „Flucht” aus der Kontrolle ist die im Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts geborene und vom Wirtschafts- und Sozialstaat des 20. Jahrhunderts willkommen übernommene Formel, daß der Staat „als Träger von Privatrechten” wie ein Einzelmensch zu behandeln sei.

Beispielhaftes Anschauungsmaterial für die weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Formel legte kürzlich der Innsbrucker Universitätsprofessor und ehemalige Justizminister Hans R. Klecatsky in Lienz in Osttirol auf den Tisch: In einem Gutachten sucht er den Nachweis zu führen, daß die auf der Felbertauernstraße eingehobene Maut mit unserer Verfassung unvereinbar ist.

Klecatsky legt zunächst die Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit einer Straßenmaut nach Art der Felbertauernmaut im allgemeinen dar: Es werde hier gegen das in unserer Verfassung mehrfach verankerte Prinzip der Verkehrsfreiheit verstoßen, die sowohl den Güter- als auch den Personenverkehr umschließt.

Zudem sind Straßenmauten „geradezu der historische Typus, von Verkehrsbeschränkungen” (Klecatsky), wie sie von Artikel 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes verboten werden.

Diese und zahlreiche weitere Verfassungsbestimmungen ergeben, daß das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1964, mit dem die Bundeshaftung für Kredite an die Felbertauernstraße AG übernommen wurde, insofern verfassungswidrig ist, als es die Haftungsübernahme an die Bedingung geknüpft hat, daß für die Benützung der Straße ein Entgelt verlangt wird.

Eine Straßenmaut nach dieser Konstruktion verstößt aber auch gegen das nicht in Verfassungsrang stehende Finanzausgleichs-

\ gesetz, wonach der Bund überhaupt keine Kompetenz zur Mauteinhebung hat.

Länder und Gemeinden können „für die Benützung von Höhenstraßen, die nicht vorwiegend der Verbindung von ganzjährig bewohnten Siedlungen mit dem übrigen Verkehrsnetz... dienen”, eine Gebühr einheben. Und die Erhebung anderer Mautgebühren ist nach einhelliger Auffassung verboten.

Daß die einzige innerösterreichische Verbindung zwischen Nordtirol und dem geographisch von ihm vollkommen getrennten Osttirol hier einzuordnen ist, kann mit Ernst nicht behauptet werden.

Somit ist auch schon die konkrete Situation - und die konkrete

Verfassungswidrigkeit — dieser Straßenmaut angeschnitten.

Unsere Bundesverfassung bestimmt, daß für den Durchzugsverkehr bedeutende Straßen zu Bundesstraßen zu erklären sind. Klecatsky schließt in seinem Gutachten nun von dieser Bestimmung auf die Verfassungswidrigkeit des Bundesstraßengesetzes von 1971, das die Felbertauernstraße willkürlich nicht in das Verzeichnis der Bundesstraßen aufgenommen hat.

Dies, obwohl dieser Straße in dreifacher Hinsicht Bedeutung für den Durchzugsverkehr zukommt: für den die Grenzen des Bundesgebietes überschreitenden Verkehr, für den innerösterreichischen Verkehr und schließlich für die Verbindung zwischen den Tiroler Landesteilen.

Klecatsky: „Der Mangel einer solchen Tiroler Gebietseinheit gibt der Felbertauernstraße eine staatsstrukturelle Bedeutung, wie sie keiner anderen Straße in Österreich zukommt.”

Zwar verlangte man Italien ein Abkommen über freien Güterund Personenverkehr zwischen Nord- und Osttirol über Südtirol ab, doch innerösterreichisch verfügt man Verkehrsbeschränkungen auf der einzigen Straßenverbindung.

Daß auf der Felbertauernstraße dennoch eine Maut eingerichtet wurde und eingehoben wird, beruht auf einem einfachen, vielgeübten, doch rechtlich nicht ganz unbedenklichen „Trick”: Die Gebietskörperschaften gründen eine Aktiengesellschaft und heben als Personen des Privatrechts eine Maut ein, die ihnen als Personen

öffentlichen Rechts nicht zustünde.

Der Staat als Freibeuter in privatrechtlichen Gefilden...

Klecatsky zu dieser „Köpenik-kiade der Privatwirtschaftsverwaltung”, deren positive Bewältigung durch den Gesetzgeber bis heute aussteht: „In der so vom Staat geschaffenen rechtlichen Grauzone ist denn auch auf symptomatische Weise die gerade gegenwärtig beklagte polit-ökono-mische Korruption beheimatet.”

Die staatsrechtliche Bedeutung dieser allgemein als „Flucht ins Privatrecht” bezeichneten Erscheinung wird dadurch noch erhöht, daß die Uberprüfling dieser sogenannten „ausgegliederten Rechtsträger” durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof, ausgeschlossen ist: „Der Rechtsfor-menmißbrauch ist perfekt — auch das Rechtsschutzsystem ist ausgeschaltet” (Klecatsky).

Globalbereinigung

Als „durchgreifende” Globalbereinigung der Mautfrage auf der Felbertauernstraße — nur ein Beispiel für die „Flucht ins Privatrecht” — schlägt Klecatsky die volksanwaltschaftliche Mißstandkpntrolle als einzige Möglichkeit vor.

Volksanwalt Zeillinger hat 1977 die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur Uberprüfung von Kapitalgesellschaften mit Bundesbeteiligung bestritten. Zu Unrecht, wie Klecatsky nun darlegt.

In einer abermaligen Anrufung sieht Klecatsky einen hohen staatspolitischen Nutzen. Eine eventuell ergehende Empfehlung der Volksanwaltschaft an die Regierung verpflichtet diese nämlich, ihr binnen acht Wochen zu entsprechen oder zu begründen, warum ihr nicht entsprochen werde.

Klecatsky abschließend: „Es geht in der Mautfrage um nicht weniger und nicht mehr als um die Verwirklichung eines hohen politischen Guts: um die Bewahrung des demokratischen Rechtsstaates.”

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