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Demokratie und Richterstaat

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Seit im April 1966 Universitätsprofessor Dr. Hans Klecatsky die Leitung des Justizressorts übertragen wurde, ist die „Richterstaat“-Diskussion in Österreich neu belebt worden. Der Justizminister hat seither in vielen Vorträgen und Erklärungen sein Programm der Stärkung * der verfassungsrechtlichen Befugnisse der Richter öffentlich vertreten, „da der Richter immer mehr und aus den verschiedensten Gründen zur zentralen Gestalt (Anmerkung: gesperrt von mir Ch. B.) im Staate wird.“ Vortrag vor der österreichischen Juristenkommission am 25. November 1966, „österreichische Juristenzeitung“ Nr. 5 vom 8. März 1967, S. 115. In diese Diskussion hat der Schreiber dieser Zeilen unter anderem am 25. November vorigen Jahres auf der Tagung der Juristenkommission und in der Sitzung des Nationalrates vom 6. Dezember vorigen Jahres eingegriffen.

In der Folge hat sich Rene Maröic temperamentvoll gegen Mißdeutungen des Gedankens vom „Rich-tersitaat“ zur Wehr gesetzt. („Salzburger Nachrichten“ vom 10., 11. Dezember 1966). Nun liegt der vorstehende Aufsatz des Verfassers des Werkes „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ in der „Furche“ vor. Die Diskussion geht weiter.

Gesellschaftliche Macht bedarf der gesellschaftlichen Kontrolle, wenn sie nicht zur Übermacht werden soll. Das gehört zum Wesen der Demokratie.

Das System unserer Bundesverfassung unterscheidet zwischen parlamentarischen Kontrollinstitutionen und den Einrichtungen der „Rechtskontrolle“. Sowohl die parlamentarische Kontrolle der Vollziehung der Gesetze als auch die „Rechtskontrolle“ sind tragende Säulen unserer Verfassungsordnung. Die Diskussion, von der sie sprachen, ist ihrem Wesen nach eine Diskussion darüber, ob die Gewichte der parlamentarischen Kontrolle und der „Rechtskontrolle“ verlagert werden sollen. Zur Diskussion gestellt ist die Verstärkung richterlicher Kontrollrechte bei gleichzeitigem Abbau der Kontrollbefugnisse des Parlaments, das Sich auf seine Aufgabe als Gesetzgeber beschränken soll.

Klecatsky hat diesem Gedanken in dem schon erwähnten Vortrag vor der Juristenkommission in folgender Weise Ausdruck verliehen: „Die in den verschiedensten Formen bestehenden politischen Kontrollrechte des Parlaments, ausgebildet in vergangenen Jahrzehnten, sind durch den seither stattgefundenen Ausbau der Rechtskontrollen durch unabhängige Richter überlagert worden. Damit ist dem Parlamentarismus im modernen Staat der Weg klar vorgezeichnet: ein verfassungsgemäßer Gesetzgeber (gesperrt von Klecatsky) zu sein“ („österreichische Juristenzeitung“ 1967, Nr. 5, S. 116).

Gewiß, der Begriff „Richterstaat“ hat viele Facetten. Er wird mehrschichtig und mehrdimensional gebraucht. Klecatsky hat sich in der schon erwähnten Debatte im Nationalrat am 6. Dezember vorigen Jahres nochmals von den Auffassungen distanziert, die Maröic in seinem Hauptwerk über die Beziehungen zwischen „Gesetzesstaat“ und „Richterstaat“ vertreten hat. Rene Marcic selbst macht in seinem vorstehenden Aufsatz auf die eigene geistige Entwicklung aufmerksam, seit sein Buch „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ erschienen ist. Gleichzeitig setzt er an den verschiedenen Stellen seines Aufsatzes, in denen er vom „Richterstaat“ spricht, dem „Richterstaat“ sehr verschiedene Lichter auf. So schillernd also das Schlagwort vom „Richterstaat“ auch sein mag, der „harte Kern“ der Rich-terstaatsddskussion ist und bleibt die Frage: Soll der Ausbau der Einrichtungen der „Rechtskontrolle“ zu Lasten der parlamentarischen Kontrollrechte gehen, und nützt eine solche Verschiebung der Gewichte der Demokratie?

Zuerst eine Klarstellung: Marcic meint, daß es im System unserer Verfassungs- und Rechtsordnung keine „gerichtsfreien Hoheitsakte, also keine „politischen“ Entscheidungen gibt, die nicht justiziabel sind und daher auch nicht der „Rechtskontrolle“ unterliegen. Diese Behauptung steht in offenkundigem Widerspruch zum geltenden Verfassungsrecht und zur Verfassungs-wirklichkeit. Natürlich gibt es im demokratischen Gemeinwesen ungezählte staatspalitische Entscheidungen von größter Tragweite — denken wir nur an die Außenpolitik und die Wirtschaftspolitik —, die nicht der Rechtskontrolie unterhegen, und deren Träger eben nicht rechtlich, wohl aber politisch verantwortlich gemacht werden können. Deshalb kann auch die „Rechtskontrolle“ niemals zur Gänze die politische Kontrolle, die das Parlament über die Vollziehung ausübt, ersetzen. Aber auch die politische, parlamentarische Kontrolle als Ausdruck der politischen Verantwortlichkeit der obersten Organe der Vollziehung gegenüber der Volksvertretung stellt eine wirkungsvolle Beschränkung der Macht der Vollziehung dar, wenn sie nur gehandhabt wird. Die VoStellung, daß die politische Kontrolle „ersatzlos“ durch „Rechtskontrolle“ verdrängt werden kann, findet in der gesellschaftlichen Wirklichkeit keine Stütze.

Rene Marcic fordert: „Wer A sagt zur Rechtsherrschaft, muß B sagen zum Richterstaat, dem Staat, wo der Richter das letzte Wort hat, dem Staat, wo am Ende eines jeden Rechtserzeugungsverfahrens einschließlich der Gesetzgebung ein Spruchkörper entscheidet, der am Zustandekommen des Aktes, der in Frage steht, nicht beteiligt war und der keinem wie immer gearteten subjektiven Willen, sondern einzig dem objektiven Sinn der ranghöheren generellen Norm unterworfen ist, füglich als unabhängig im Sinne von weisungsfrei und in diesem Sinn als neutral angesprochen wird...“

Auch hier ist zuerst einmal eine „tatsächliche Berichtigung“ nötig: Nach geltendem Verfassungsrecht unterliegt nicht schlechthin jeder Gesetzgebungsakt der nachprüfenden Reohtskontrolle eines Höohst-gerichtes. Die Gesetzgebungsakte, die der Verfassungsgesetzgeber setzt, lllflll sind materiell der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen, wobei hier allerdings auf die Probleme der „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung und der völkerrechtlichen Verantwortung des Gesetzgebers, die sich aus den Verpflichtungen ergeben, die Österreich durch den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention übernommen hat, nicht eingegangen werden kann. Grundsätzlich ist die Volksvertretung also, soweit sie als Verfassuingsgesetzgeber auftritt, als Gesetzgeber souverän und durch die Rechtskontrolle nicht beschränkt!

Und ein Weiteres: Der Richter hat nicht in allen Fällen das „letzte Wort“. Gewaltentrennung und Gewaltenteilung setzen begrifflich auch eine Nahtstelle der Gewaltenverbindung voraus, wenn die Rechtsordnung nicht in ihre Bestandteile zerfallen soll. Unser geltendes Verfassungsrecht löst das Problem der „Gewaltenverbindung“, das sich begrifflich jeder Rechtsordnung stellt, zweifelsfrei im Sinne der „Souveränität“ der Volksvertretung, auch wenn gerade das von Marcic bestritten wird.

In einer parlamentarischen Anfragebeantwortunig hat erst vor wenigen Wochen der Präsident des Nationalrates, Dr. Maleta, auf die Möglichkeit der authentischen Interpretation der Verfassungsbestimmung über die berufliche Immunität der Abgeordneten (Art. 57 (1) B.-VG.) gegenüber einem Gericht, das die Verfassungsbestimmung anders als der bisher herrschenden Rechtsmeinung entsprechend auszulegen schien, hingewiesen. Die authentische Interpretation, auf die der Nationalratspräsident in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise Bezug nahm, wäre gewiß ein Eingriff in ein „schwebendes“ Gerichtsverfahren gewesen. Der Richter hätte nicht das „letzte“ Wort gehabt. An der „Nahtstelle“ der Gewaltentrennung hätte sich neuerlich der Primat, das heißt die „Souveränität“ der Volksvertretung im Rahmen des geltenden Verfassungsrechtes verwirklicht, so sehr dies auch von Mareic bestritten wird.

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