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Verlobter Ehemann

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Die Vermutungen der letzten Tage, der letzte Ministerpräsident der fünften Legislatur, Giulio Andreotti, werde der erste Regierungschef der sechsten Legislatur sein und damit sein eigener Nachfolger werden, haben sich bewahrheitet.

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Die Vermutungen der letzten Tage, der letzte Ministerpräsident der fünften Legislatur, Giulio Andreotti, werde der erste Regierungschef der sechsten Legislatur sein und damit sein eigener Nachfolger werden, haben sich bewahrheitet.

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Die Meinung ist weit verbreitet, daß es in der verfahrenen politischen Situation, die durch die vorzeitigen Parlamentswahlen vom 7. Mai keineswegs geklärt, eher noch verschärft wurde, nur einem Mann, Andreotti, gibt, dem das Kunststück einer einigermaßen zufriedenstellenden Kabinettsbildung gelingen wird. Zur Umschreibung seiner außerordentlichen Fähigkeit, die Zähmung der Widerspenstigen fertigzubringen und die sich gestern bekämpfenden Parteien heute um den grünen Tisch und morgen auf der Regierungsbank vor dem Parlament zu versammeln, heißt es von Andreotti, daß er mit beiden, dem lieben Gott und dem Teufel, auf gutem Fuß stehe.

Im Wahlkampf vor dem 7. Mai haben die führenden Christlichdemokraten einen Zentrumskurs vertreten, von dem sie jetzt, aus Angst, morgen oder übermorgen vom Elek-torat im Stich gelassen zu werden, nicht mehr abgehen wollen. Wie unter solchen Vorzeichen ein Kabinett gebildet werden kann, das wirklich vorwärtsschreitet und regiert, nicht nur wie seit Jahren auf irgendwelche Übelstände notwendig reagiert, ist noch völlig schleierhaft; doch vertrauen immer noch viele, daß „dem Mann der Rechten, der wie keiner geeignet ist, ein Linkskabinett zu bilden“, diesem Verlobten von allen, doch Ehemann von niemandem“, das Bravourstück gelingen wird.

Sich selber treu, hat Andreotti bei Annahme des Mandats unter Vorbehalten das Programm in großen Zügen entworfen, das er als Regierungschef verwirklichen möchte. An oberster Stelle dieser Wunschliste steht die Überwindung der Wirtschaftskrise: in den nächsten Monaten müssen für fast fünf Millionen Italiener die Kollektivverträge erneuert werden. Aus Angst vor einem neuen, heißen, streikgeladenen Herbst hielten die Unternehmer mit ihren Investitionen zurück, sind in den letzten Monaten die Hoffnungsschimmer auf einen neuen Boom fast ganz vom Horizont gewichen. Andreotti möchte zugleich den Arbeitern helfen und den rückständigen Süden entwickeln, ohne die Industriellen vor den Kopf zu stoßen. Ob ihm auch dieses Kunststück gelingt, werden die kommenden Monate weisen müssen, falls Andreotti nach seinen Gesprächen mit den Delegationen den Auftrag zur Regierungsbildung überhaupt annehmen kann. Jedenfalls hängt der Erfolg der zweiten Zielsetzung seines Regierungsprogramms, der „Beseitigung des gewalttätigen Klimas und der ganzen Kriminalitätsausweitung“, in erheblichem Maß von der Herstellung wirtschaftlicher Gleichgewichte und sozialer Besserstellungen ab.

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