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Verwandlung

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Der Jahreskreis schließt sich: Ein Jahr später sind wir dort angekommen, wovon wir vor einem Jahr ausgegangen sind. Wie sinnlose Routine mag es manchem scheinen, die Wiederkehr des ewig Gleichen. Und wer sich in diesem Jahr seiner Veränderung entzogen haben sollte, hat mit dieser Befürchtung recht: Bemerkend, daß er der Gleiche geblieben ist, sollte er mit Brechts Herrn K. erbleichen.

Die Wiederkehr des scheinbar Gleichen, der zyklische Ablauf unserer Existenz hat nur einen Sinn, wenn wir unsere Verwandlung riskieren. Risikofreies Leben gibt es nicht, risikofreie Liebe gibt es nicht.

Ein Jahreszyklus der Kirche und ihrer Feste und Feiern geht zu Ende. Und zugleich damit ein Jahreskreis rund um die Erinnerung an das Leben Jesu, von der Geburt bis zu seiner Wiederkunft: das ist eine rückwärtsgewandte Erinnerung einerseits, indem wir mit der Geburt Jesu den Seginn unserer Zeitrechnung bedenken. Andrerseits ist es eine vorwärtsgewandte Erinnerung, die unser Lebensziel vorwegnimmt, zugleich das Ende aller Zeiten.

In der Spannung dieser beiden Erinnerungen stehen alle großen Religionen. Anders gesagt: in der Spannung zwischen den beiden Fragen, woher wir kommen und wohin wir gehen. In den Bibeltexten der Sonntagsmessen um das Ende und den Beginn des Kirchenjahres taucht diese uralte Menschheitsfrage auf. Und mit dem Woher und Wohin unserer Existenz ist gemeint: Wo ist unsere Heimat? Wo wird — bei aller Unruhe unseres Lebens — unser Herz letztlich Ruhe finden?

Die Idee des sich wiederholenden Kirchenjahres ist kein stures Repetieren, kein Einbleuen und Einhämmern ewig gleicher Botschaften Wie in einer Spirale will die Wiederholung in die Tiefe führen, Erfahrung und Erkenntnis verdichten.

Die Wiederholung will keine rückwärtsgewandte bloße Erinnerung sein, die sich nicht von Mal zu Mal anreichern und vertiefen ließe. Wer sich zu Weihnachten bloß seiner Kindheit erinnern wollte, bloß wehmütig an der vergangenen Zeit haften bliebe, verschließt sich der Verwandlung. Nur die verwandelnde Wiederholung macht uns für die Zukunft offen, ermöglicht das Erinnern des Bevorstehenden.

Nach Johannes 3J.4: Wir sind vom Tod zum Leben verwandelt, weil wir die Brüder (und natürlich auch die Schwestern) lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod. Keine Verwandlung ohne Liebe. Keine Liebe ohne Verwandlung.

51. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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