6992189-1986_48_09.jpg
Digital In Arbeit

In Erwartung

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt ein leeres und ein erfülltes Warten. Man kann sein Leben sozusagen stumpf vor sich hin wartend verbringen. So kann das Leben verstreichen, ohne wirklich gelebt zu werden. Erst wenn unser Warten erfüllt ist von einem Ziel, von einem Wunsch, einer Sehnsucht, dann sprechen wir von Erwartung. Wer die Kindheitserinnerung vom Warten auf das Christkind bewahrt hat, wer sehnsüchtig das Kommen eines geliebten Menschen erwartet hat, der weiß, was Advent ist.

Die Christen wußten immer schon, daß es nicht nur den Advent einmal im Jahr gibt, sondern daß unser ganzes Leben ein immerwährender Advent ist, wenn wir tatsächlich zielgerichtet, auf etwas hin leben. Die Ziele — vorläufige und endgültige — geben uns Orientierung und Ausrichtung: Sage mir, worauf hin du lebst, und ich sage dir, wer du bist.

Es ist gut, daß uns gleich am Beginn des Kirchenjahres schon das Ziel vor Augen gestellt wird. Indem wir uns der historischen Ankunft Jesu erinnern, werden wir uns der eigenen Zukunft bewußt. Der Blick zurück ist für den Christen zugleich ein Blick voraus. Deshalb sprechen die liturgischen Texte am Ende und am Anfang des Kirchenjahres von der Wiederkunft Christi. Anfang und Ende berühren einander, der Jahreskreis ist tatsächlich ein Kreis.

Im Verlauf des Advents löst sich der Blick von der Erwartung der Endzeit und verfestigt sich unsere Erwartung auf das Kommen Jesu mit Blickrichtung auf Betlehem. In den Bildern der Erwartung taucht die schwangere Mutter Jesu auf, ihr Gang zu Elisabeth. Die kalte, dunkle Jahreszeit verdichtet das Empfinden der Erwartung.

Die Adventbräuche sprechen die Zeichensprache dieser Empfindungen: der Gang zur Frühmesse, der Rorate, vor Sonnenaufgang oder die Barbarazweige, zur Zeit der Winterkälte und des scheinbaren Pflanzentodes abgeschnittene Zweige, die dann „mitten im kalten Winter“ zu blühen beginnen, Zeichen neuen Lebens „wohl zu der halben Nacht“ -r wie das Lied in Anspielung auf Jesaja singt.

Biblische Vorbilder greift auch der Brauch des Her-bergsuchens auf. Jüngere Bräuche wie der Adventkranz haben schnell Eingang in Kirche und Gottesdienst gefunden. Auch der dreimal, jeweils einen Ton höher, gesungene Adventruf (Sieh, der Herr kommt in Herrlichkeit) zeigt die Steigerung der Erwartung an.

Aus der ehemals stillsten Zeit im Jahr ist eine besonders laute geworden. Die Zeichen der Erwartung laden ein, sich der Adventhektik zu entziehen und Stille zu finden.

Zweiter Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung