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,Herrschen Satan, Tod und Sünden‘
Biete auf Deine Macht, o Herr, und komm; wir bitten Dich, daß wir aus den Gefahren, die uns wegen unserer Sünden drohen, durch Deinen Schutz entrissen und durch Deine Befreiungstat errettet werden.
(KircheHgebet vom 1. Adventssonntag)
Datj es zwischen dem Advent und der Fastenzeit eine weitgehende innere Verwandschaft gibt, daß die Liturgie — von der Farbe des Meßgewandes bis zu sehr vielen anderen Besonderheiten — der der Quadragesima ähnlich ist, das alles ist dem Bewußtsein von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr entschwunden. Gewiß hat sich hier zwischen uns Menschen nördlich der Alpen und romanischen Formen der Liturgie das Brauchtum der Jahrhunderte geschoben, aber das ist nicht gefährlich, solange es sich wirklich um adventliches Brauchtum und nicht um die kommerzielle Vorwegnahme des Weihnachlsfestes handelt. In diesem Gebet des ersten Adventssonntages ist vom Weihnachfsfesf dem Wort und der Stimmung nach überhaupt nicht die Rede. Hier wird kein idyllischer Tannenwald mit leise rieselndem Schnee oufgebaut, sondern eine wildzerklüftete, karstige Urlandschaft. Wie Felsblöcke türmen sich die Sünden, die
Gewittergefahren hängen wie undurchdringliche Wolken über einer geängsteten Menschheit. Es ist ein einziger stürmischer Sehnsuehfsruf nach der Macht Gottes, der die Himmel aufreißen möge, der die Befreiungstat setzen soll, ohne die der Mensch in der trostlosen Einsamkeit zwischen Sünde und Unheil versinken und verzweifeln muß. Wer Weihnachten er leben, wer das Geheimnis dieser
Nacht in wenigen Wochen in sich vollziehen lassen will, kommt um diesen Ausgangspunkt nicht herum; um die Erkenntnis, daß er Weihnachten braucht, nicht als eine zusätzliche Freude, als eine poesievolle Festlichkeit, sondern als die allein helfende, die allein rettende Heilstat. Daß die Welt wirklich und nicht nur im poetischen Vergleich „verloren" ist ohne dos Gnadengeschenk der Ankunft des Herrn, daß Advent keine historische Versenkung in die längst entschwundenen Jahrtausende vor Christi Geburt bedeutet, sondern eine stets wiederkehrende Realität. Jede einzelne Sünde schafft die trostlose Felslandschaff zwischen steiler Furcht und drohendem Angstgewölk im Innern des Menschen aufs neue, wirft ihn im Grunde noch weiter zurück, als es die Menschen des noch in der Unwissenheit verharrenden adventl'ichen Heidentums der Geschichte jemals waren. Unsere ganze Welt sinkt täglich und stündlich in diese innere Gefangenschaft. Die Kirche, die uns dieses Gebet in den Mund legt, will am ersten Adventssonntag nichts anderes, als daß wir uns dieser Grundbefindlichkeit in aller Konsequenz bewußt werden, daß wir die Nichtigkeit und ganz und gar auf den Herrn angewiesene Heilsbedürftigkeit erkennen, mit allen Fasern erspüren, „schmecken" — würde es Ignatius nennen. Erst ein Advent, der in dieser Abgrundtiefe einsetzt, kann zum Ziel führen. Wir brauchen uns um die Weihnachtsstimmung keine Sorgen zu machen, mich) Angst haben, daß wir in dieser Nacht verharren bleiben. Aber ohne sie zu durchschreiten, werden wir zu keinem Stern gelangen.
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