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Vom Aschenbrödel zum Polithit

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Mit einigen skandinavischen Ländern zusammen, gehört die Schweiz im Bereich des Zivilschutzes zur „einsamen Spitze“. Trotz dieses internationalen Renommees, der erheblichen Kosten der Zivilschutzkonzeption und der Dienstpflicht für jeden männlichen Einwohner, der aus der Militärpflicht entlassen oder als dienstuntauglich erklärt wird, war der Zivilschutz über Jahre hinaus überhaupt kein Thema politischer Diskussion der Eidgenossen.

In letzter Zeit hat sich das gründlich geändert. Aus ideologischer wie aus pragmatischer

Sicht ist gegen die 1971 entwickelte Zivilschutzkonzeption harsche Kritik laut geworden. Gleichzeitig gab die Landesregierung bekannt, daß die volle Verwirklichung des Konzeptes, nicht wie ursprünglich vorgesehen bereits 1990, sondern erst um das Jahr 2000 möglich sein werde.

Neben den Rekrutierungsschwierigkeiten und Mängeln in der Ausbildung sind es vor allem die Realisierung des baulichen Programms sowie die Materialbeschaffung, die bedeutend längere Zeit beanspruchen als einst geplant.

Die Schweiz hat — wie Schweden — schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufbau ei-

nes Zivilschutzes begonnen, während andere Länder davon nichts hielten. Die heutige Gestalt erhielt die eidgenössische Zivilschutzkonzeption jedoch erst 1971. Sie konzentriert sich auf „die Bereitstellung eines Schutzplatzes für jeden Einwohner der Schweiz“, damit, „sobald die internationale Lage kritisch wird, diese Schutzräume vorsorglich bezogen werden können“, weil eine rechtzeitige Alarmierung bei der Schnelligkeit der Flugzeuge und Raketen als undenkbar gilt.

Für den reibungslosen Ablauf dieser Bewegung hat der Zivilschutz mit einem Sollbestand von 600.000 Männern und Frauen zu sorgen.

Dabei ist der Aufbau des Zivilschutzes föderalistisch: Der Bund erläßt die Rahmenvorschriften und subventioniert Bauten und Material, deren Bereitstellung - wie die Ausbildung der Leute — Sache der Kantone und Gemeinden ist. Hier zeigt sich nun ein großes Gefälle:

Während einige Kantone diesen Auflagen mit großem Eifer nach-

kamen, hinken andere gewaltig hintendrein. So gibt es Kantone, in denen das Schutzraumziel bereits heute zu 96 Prozent erreicht ist, während in anderen noch nicht einmal die Hälfte der Einwohner über einen Schutzraum verfügt. Insgesamt fehlen gegenüber dem Plansoll noch 1,6 Millionen belüfteter Schutzräume.

Ein besonders großes Defizit herrscht in den kleinen Gemeinden. Hier soll nun der Hebel angesetzt werden, was allerdings die Verschiebung anderer wichtiger Materialvorhaben bedingt, wie die Beschaffung einer weiteren Million Schutzmasken für die Bevölkerung, eines drahtlosen Ortsfunks und von Trinkwasserbehältern, weil die verfügbaren Kredite in den nächsten Jahren nicht erhöht werden können.

Die Kosten für Unterhalt und Material werden in nächster Zeit ohnehin steigen. Zwischen 1970 und 1981 sind für den Zivilschutz insgesamt 3,5 Milliarden Schweizer Franken ausgegeben worden. Auf der Preisbasis von 1980 sind bis zur vollen Realisierung des

Konzeptes noch gegen 7,7 Milliarden Franken nötig. Dabei sind die Ausgaben unter dem allgemeinen Sparzwang unter die Ein-Pro- zent-Marke des Bundeshaushaltes gesunken.

Die weitgehende Indifferenz der öffentlichen Meinung gegenüber dem Zivilschutz hat einer kritischen Diskussion Platz gemacht. Sie wurde nicht zuletzt ausgelöst durch eine kritische Stellungnahme des kantonalen Zivilschutzchefs von Zürich, der schlicht behauptet, daß der Zivilschutz im Gegensatz zur Armee nicht einsatzbereit und nicht funktionstüchtig sei.

Der prominente Kritiker spricht von „Hinterher-Zivil- schutz“, von Verharmlosung unter dem Titel „Katastrophenhilfe“, statt ehrlich zu sagen, daß Zivilschutz mit Krieg zu tun habe und Teil der Landesverteidigung sei.

Zu dieser pragmatischen Kritik kommt von ganz anderer Seite die ideologische. Die auch in der Schweiz sich immer stärker bemerkbare Friedensbewegung verwirft den Zivilschutz als „Variante der Idee des überlebbaren Atomkrieges“. So werde ein Schutz vorgetäuscht, den es nicht geben könne und der so nur das Wettrüsten fördere.

„Der beste Zivilschutz ist ein atomfreies Europa“, war das Thema der diesjährigen Ostertagung des Schweizerischen Friedensrates. Der Zivilschutz ist vom Aschenbrödel zum ideologisch aufgeladenen Polithit geworden.

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