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Ein Öfchen als Vorsorge

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Gutgemeinte Ratschläge helfen im Katastrophenfall kaum weiter. In der Bundeshauptstadt wurde beim Bau der U-Bahn wieder einmal eine Jahrhundertchance vertan.

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Gutgemeinte Ratschläge helfen im Katastrophenfall kaum weiter. In der Bundeshauptstadt wurde beim Bau der U-Bahn wieder einmal eine Jahrhundertchance vertan.

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Der Zivilschutz in Österreich liegt im argen. Der Pro-Kopf-Aufwand beträgt knapp 70 Groschen pro Jahr. Das entspricht dem Kaufpreis einer besseren Zigarette.

Der Zivilschutz wird vor allem in den Ballungszentren vernachlässigt. In den Landeshauptstädten, in der Bundeshauptstadt gibt es kaum geeignete Vorkehrungen.

In Wien, mit mehr als 1,5 Millionen Einwohnern, gibt es zaghafte

Ansätze, nicht mehr. Das Zivilschutzprogramm, das seitens der Stadtverwaltung angeboten wird, ist nach Meinung von Fachleuten nicht einmal das Papier wert, auf dem es gedruckt ist.

In einer aufwendigen Zivilschutzbroschüre aus dem Jahr 1983 rät die sozialistische Stadtverwaltung ihren Bürgern, für den Katastrophenfall ein „Kanonenöfchen" bereitzuhalten. Wie das in einem der zahlreichen Gemeindebauten, in denen nicht einmal Kaminöffnungen vorgesehen sind, funktionieren soll, können auch die Experten der Stadtverwaltung nicht beantworten.

Und das ist auch genau der Punkt, an dem ÖVP-Gemeinderat Ernst Neubert mit seiner Kritik ansetzt. „Eine Stadtverwaltung, die von ihren Bürgern Unsinniges verlangt, darf sich nicht wundern, wenn diese Bürger ein großes Mißtrauen haben."

Eine grundlegende Frage des Zivilschutzes ist die „Bunker-Frage". Sind genügend Schutzräume für die Bevölkerung vorhanden?

Die Wiener Architektin Dietlinde Ersehen hat im Innenstadtvier-

tel zwischen Schulerstraße, Ro-tenturmstraße, Franz-Josefs-Kai und Stubenring die vorhandenen Keller untersucht. „Je älter die Häuser, um so besser die Keller — und damit die Eignung, sie zu Schutzräumen umzubauen", so ihre Erkenntnis.

Die insgesamt 172 Keller dieses Viertels wurden detailliert untersucht. Rund die Hälfte der Kelleranlagen fällt in die beste Kategorie. Es handelt sich zumeist um Gewölbe, die älter als 150 Jahre sind, oder um sogenannte zweite Keller, die unterhalb von Neubauten brachliegen.

Im Heiligenkreuzerhof zum Beispiel gibt es einen acht Meter tiefen, riesigen Weinkeller; auch das ganze alte Universitätsviertel ist unterkellert. Zwischen Laurenzer Berg und Stephansplatz könnte man nach Meinung der Architektin ohne Schwierigkeiten ein zusammenhängendes Kel-

lersystem herstellen. Der Umbau wäre binnen Jahresfrist möglich.

Dieser Bunkerbau wäre natürlich auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn mit diesem Innenstadtbunker könnten Schutzräume für die rund 4.000 Einwohner des Gebiets und die rund 18.000 Personen, die hier arbeiten, geschaffen werden. Was aber passiert mit den restlichen 1,5 Millionen Einwohnern von Wien?

Eine Jahrhundertchance für den Wiener Zivilschutz wurde bereits vertan. Die Röhren des Wiener U-Bahn-Netzes wurden nicht in das Zivilschutzprogramm einbezogen.

Das U-Bahn-System eignet sich nicht als Kommunikations- und Verbindungssystem im Falle einer großflächigen Verstrahlung. Diese unterirdischen Verbindungswege hätten die Möglichkeit geboten, Rettungs- und Erhaltungseinsätze durchzuführen.

Das wäre alles sicher teuer gekommen. Aber VP-Gemeinderat Neubert zeigt am Beispiel Rotterdam, was man hätte tun müssen: „Rotterdam wurde im Krieg fast völlig zerstört. Beim Neuaufbau und der Errichtung einer U-Bahn wurden alle Aspekte des Zivilschutzes berücksichtigt."

Beim Bau des ersten Streckenabschnittes wurden in Rotterdam alle U-Bahn-Stationen zu öffentlichen Schutzanlagen ausgebaut. Alle Öffnungen in den Außenwänden der Stationen, wie Eingänge, Ausgänge, Lüftungsrohre und die Tunnelöffnungen, wurden an beiden Enden der Bahnsteige mit gasdichten Schie-bestahltoren ausgestattet. Die Mehrkosten betrugen nach einem Bericht des niederländischen Innenministeriums knapp vier Prozent der Baukosten.

Der zuständige Wiener Stadtrat, Peter Schieder, meinte anläßlich der Präsentation der aufwendigen Zivilschutzbroschüre: „Zivilschutz bedeutet, sich auf einen Krisenfall vorzubereiten, nicht aber, sich vor einer Katastrophe zu fürchten."

Die Ratschläge, die die Broschüre der Bevölkerung erteilt, sind anwendbar. Aber es zeigt sich auch, daß die Stadtverwaltung selbst für den Zivilschutz nichts unternimmt.

Ein Beispiel: Die Stadt Wien ist mit einem Bestand von mehr als 200.000 Gemeindewohnungen einer der größten Hausherren der Welt. Die Gemeinde Wien beschäftigt Tausende Hausbesorger. In keinem einzigen der zahlreichen Gemeindebauten sind aber die Hausbesorger für den Zivilschutzfall vorbereitet und ausgebildet.

Dazu VP-Neubert: „Ich will wirklich keinen Blockwart! Aber es wäre doch sinnvoll, die städtischen Hausbesorger intensiv zu schulen. Es wäre ebenso sinnvoll, in den städtischen Wohnanlagen Notlager einzurichten. Man soll nichts übertreiben. Der Zivilschutz ist ja keine Einrichtung, die nur für den GAU (= größter annehmbarer Unfall), sondern auch für die kleinen Notfälle, vom Hochwasser bis zum lokalen Erdbeben, geschaffen werden muß."

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