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Viele Pläne — wenig Geld

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Es wurden seither Richtlinien für die Erbauung strahlensicherer Schutzräume sowie hochwissenschaftliche Elaborate über die medizinische Behandlung Strahl engeschädigter ausgearbeitet. Man entwarf Konzepte für ein zweckmäßiges Alarmierungssystem, zerbrach sich den Kopf über Bevorratungsprobleme und studierte, welche Vorkehrungen für eine wirkungsvolle Ent-strahlung am geeignetsten seien. Doch was nützen die schönsten Planungen, wenn kein Geld vorhanden ist, sie zu realisieren. Die geradezu lächerlich geringen Mittel, die im Budget bisher vorgesehen waren (1960: 15 Millionen, 1961: 21 Millionen und 1962: 13 Millionen), erlaubten es nicht, auch nur einen kleinen Teil der Planungen in die Wirklichkeit umzusetzen.

Einer internationalen Faustregel nach, gelten zehn Prozent der Mittel, die für die militärische Landesverteidigung aufgewendet werden, als Mindestetat, der dem Zivilschutz zuzubilligen wäre. Die Anwendung dieser Formel auf österreichische Verhältnisse ist problematisch, da für die Verteidigung mit nur rund zwei Milliarden Schilling zu geringe Mittel zur Verfügung bereitgestellt werden, als daß man diese Dotierung als gerechten Maßstab für den Zivilschutz verwenden kann. Trotzdem stellt das so errechnete Erfordernis von 200 Millionen Schilling noch immer ein Vielfaches der Mittel dar, die tatsächlich in den vergangenen Jahren für den Zivilschutz aufgewendet wurden.

Da man sich über die finanziellen Fragen nicht klar werden konnte, blieben auch die rechtlichen Probleme des Zivilschutzes — die Klärung der Kompetenzen, die verfassungsmäßige Verankerung der neuen Einrichtung sowie die Schaffung eines einschlägigen Gesetzes, für das schon eine ganze Reihe von Entwürfen vorliegen — bisher ungelöst.

Außer der Arbeit des Planungsausschusses können daher nur noch die Aufstellung einer Luftschutztruppe und die bisherige Arbeit des auf vereinsmäßiger Basis aufgebauten Zivilschutzverbandes als Aktivposten angeführt werden. Dieser Verband, dessen Aufgabe es ist, den Selbstschutz der Bevölkerung zu organisieren, ist eben dabei, seinen Funktionärskader aufzufüllen und einer Grundschulung zu unterziehen. Der Selbstschutz ist also - da der Verband noch keine Breitenwirkung entfalten konnte, vorläufig eine Leiter ohne unterste Sprossen.

Noch im heurigen Jahr will man aber soweit sein, um mit der ersten Aufklärungskampagne beginnen zu können.

Psychologische Hemmungen

Was ist nun der Grund dafür, daß bei uns in Sachen Zivilschutz nun schon sechs Jahre lang beharrlich auf der Stelle getreten wird? Eine der Hauptursachen dieser Rückständigkeit ist zweifellos der Umstand, daß hierzulande vom kleinen Mann auf der Straße angefangen bis hinauf in höchste Politiker-, ja sogar Wissenschaftlerkreise noch immer die Meinung verbreitet ist, der Zivilschutz sei purer Humbug. In keinem anderen Land der zivilisierten Welt dürfte ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung diesen Standpunkt teilen wie in Österreich. Überall sonst herrscht die Ansicht vor, daß man einem Schutz, der imstande ist, Tausenden das Leben zu retten, selbst dann nicht jeglichen Sinn absprechen kann, wenn er tau-senden anderen nicht zu helfen vermag.

Auffallend ist, daß die Landbevölkerung dem Zivilschutz um vieles aufgeschlossener gegenübersteht als die Städter, bei denen die Erinnerungen an die grauenvollen Bombenangriffe des zweiten Weltkrieges noch stark nachzuwirken scheinen. Die oft unterschwellige Abneigung läßt es angezeigt erscheinen, bei den geplanten Aufklärungsfeldzügen des Zivilschutzverbandes auf die Heranziehung erfahrener Psychologen nicht zu vergessen. Es könnte sonst leicht passieren, daß man neue Ressentiments weckt, statt den bestehenden Zaun des Mißtrauens einzureißen.

In der Bundesrepublik Deutschland ergab eine vor kurzem angestellte Umfrage, daß sich in den letzten Jahren rund 26 Prozent der Bevölkerung zum Zivilschutz bekehren ließen. Wenn ein solcher Aufklärungserfolg in einem Land möglich ist, das in noch weit stärkerem Maße unter Luftangriffen zu leiden hatte als die österreichischen Städte, kann man auch bei uns mit wachsendem Verständnis für den Zivilschutz rechnen. Leider lassen sich alle noch offenen Fragen mit Propaganda allein nicht lösen. Der Aufbau eines wirkungsvollen Zivilschutzes erfordert Geld, viel Geld sogar, und das scheint in Österreich gerade jetzt, wo alle Rädchen und Achsen des Wirtschaftsgetriebes auf europäische Drehzahlen umgeschaltet werden müssen, das Wohnungselend noch immer nicht behoben ist und die Kulturpleite dringend nach Abhilfe verlangt, unaufbring-licher denn je.

Die meisten der an das Staatsbudget herangetragenen Notwendigkeiten haben dem Zivilschutz den Vorteil voraus, daß sie sich zahlenmäßig ziemlich exakt ausdrücken lassen. Die Dringlichkeit von Zivilschutzmaßnahmen bleibt aber, da sie von der unbestimmbaren Wahrscheinlichkeit einer atomaren Gefährdung abhängt, eine undefinierbare Größe. Das Rechnen mit „Unbekannten“ ist nun einmal — das weiß jeder aus der Mathematik — weitaus schwieriger als mit konkreten Ziffern. So kommt es, daß Österreichs offizielle Stellen zwar seit langem prinzipiell für den Zivilschutz sind, finanziell aber nicht die Konsequenzen daraus ziehen. Ist es auch einzusehen, daß angesichts des großen Nachholbedarfes dem Wohn-, Schul- und Straßenbau der Vorrang eingeräumt wird, so muß dennoch davor gewarnt werden, den Aufbau des Zivilschutzes allzusehr auf die lange Bank zu schieben. Es wäre bitter, müßte Österreich einmal in weniger konjunkturbegünstigten Zeiten das nachholen, was es in Jahren der wirtschaftlichen Prosperität versäumt hat.

Koexistieren mit der Atombombe

Das Koexistieren mit der Atombombe erfordert nun einmal gewisse Vorsichtsmaßregeln. Es wäre hoch an der Zeit, sich auch in Österreich mehr auf diese Realität zu besinnen. Ein Wohlfahrtsstaat, der so sehr in die Vervollkommnung des sozialen Schutzes für seine Bürger verrannt ist, daß er darauf vergißt, auch für ihre

Sicherheit im Falle einer atomaren Katastrophe zu sorgen, läuft Gefahr, sich selbst ad absurdum zu führen.

Später wird es teurer

Das Aufschieben des Aufbaues eines Zivilschutzes verbilligt die Sache keineswegs. Österreich steckt derzeit in einer Phase stürmischer Bautätigkeit. Je mehr Neubauten errichtet werden, ohne daß baulich für den späteren Ausbau der Keller als Schutzräume vorge-sorgt wird, desto mehr Geld wird man einst in den Zivilschutz investieren müssen. Die Ausstattung eines Wohngebäudes mit einem strahlen-, einsturz- und splittersicheren Schutz erfordert rund vier bis fünf Prozent der Baukostensumme. Da man die Aufbringung der gesamten zusätzlichen Mittel für den Einbau eines Schutzraumes den Bewerbern nicht zumuten kann, denkt man daran, nach ausländischem Muster öffentliche Zuschüsse zu gewähren. Soweit der Vorsatz. Das Geld dafür fehlt aber. Die bisher dem Zivilschutz zugewiesenen Mittel reichten lediglich aus, um einige Bundesneubauten mit Schutzräumen zu versehen. Glücklicherweise lassen sich die vor dem zweiten Weltkrieg erbauten Häuser durch ihre dicken Mauern mit verhältnismäßig geringen Kosten zu brauchbaren Unterständen gegen radioaktiven Niederschlag adaptieren. Da in diesen Althäusern, die vierzig Prozent des gesamten österreichischen Häuserbestandes ausmachen, rund 60 Prozent der Bevölkerung wohnt, ließe sich mit geringen Kosten einiges erreichen.

Österreich hat sich für eine eigene Landesverteidigung entschieden. Die Logik gebietet, daß daher auch die Notwendigkeit eines Zivilschutzes bejaht wird, denn wozu wollen wir unser Land verteidigen, wenn die Zivilbevölkerung diese Verteidigung nicht überleben würde. Es ist höchste Zeit, einzusehen, daß den Kopf in den Sand stecken, kein Schutz gegen Atomstrahlen ist.

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