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Wo das Leben vom Fisch abhängt

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Mit Skepsis und Unruhe verfolgt die kleine Inselgruppe der Färöer die internationalen Verhandlungen über die Hochseefischerei. Was die Großmächte aushandeln, kann 40.000 Menschen die Zukunft zerstören. Denn kein Land der Erde ist so sehr vom Fischfang abhängig wie diese 18 Inseln, die zum Königreich Dänemark gehören, obwohl Kopenhagen von ihrer Hauptstadt Thorshavn ebenso weit entfernt ist Wie von Monte Carlo.

Der Fisch macht heute 95 bis 98 Prozent des färöischen Exportes aus. Die Fischereigewässer rund um die Inseln sind reich; aber für die enormen Mengen, die ihre Fischer fangen müssen, bei weitem nicht ausreichend. Achteinhalb Tonnen Fisch pro Kopf der Bevölkerung holten sie im vergangenen Jahr aus dem Meer.

Obwohl die Fischerei in den eigenen Gewässern in den letzten Jahren intensiviert wurde, stammt nicht einmal ein Drittel des Gesamtfanges aus diesem Gebiet. So fürchten die Färinger heute nichts mehr als Rationierung und feste Fischereizonen. Die Ausweitung der Grenzen auf eine 200-Mei- len-Zone bringt der Inselgruppe nur bescheidenen Gewinn. Denn zwischen der 25. und 200. Seemeile vor den Ufern der Färöer ist das Meer so tief, daß dort die Fische, die man für den Export benötigt, überhaupt nicht Vorkommen.

Die Landstyre, das Selbstverwaltungsorgan - aus sechs Ministern bestehend -, kann nur auf Verständnis der Großmächte für die spezielle Situation der Inselgruppe hoffen. Aber die färöischen Politiker wissen genau, daß die kleine Gemeinschaft, die sie repräsentieren, sehr leicht unter die Räder kommen kann, wenn die Industriegiganten versuchen, ihre divergierenden Interessen unter einen Hut zu bringen. Die Lage der Inselgruppe ist dramatisch. „Die Färöer können auf keinen einzigen Fang verzichten“, meint Petur Reinert, der als Fischereiminister zu den Einflußreichsten auf den Färöern gehört. Das Exportniveau kann nur gehalten werden, wenn die Färinger auch in anderen Gewässern fischen dürfen. Selbst bei optimaler Ausfischung der eigenen 200-Mei- len-Zone würde die Industrie der Färöer auf die Hälfte ihres heutigen Standes reduziert werden, müßte sie auf die Verarbeitung von Fängen aus fremden Gewässern verzichten.

Der Fisch ist nicht nur für den Export das Lebenselexier, er hat auch die Menschen der Inseln geprägt. Was ein echter Mann ist auf den Färöern, ist zumindest zeitweilig auf See gewesen. Die Auswirkungen sind nicht zu übersehen. In den Fabriken gibt es 12- Stunden-Tage und 7-Tage-Wochen, ohne daß die Gewerkschaften prote stierten. Die dänischen Arbeitsschutzgesetze gelten auf den Färöern nicht. Die Arbeitsgewohnheiten werden von den Fischerbooten bestimmt: Ist ein Fang eingeholt, kann es keinen Feierabend geben, ehe die Netze nicht geleert und die Fische verarbeitet sind. Die Methoden der Hochsee sind auf die Betriebe der Inseln übergegangen. Und der Mitteleuropäer, der sich über eine solche Arbeitsordnung wundert, trifft auf wenig Verständnis, wenn er sie kritisiert.

Vielleicht hätten die Färöer die Möglichkeit, auf neuen Wegen der einseitigen Abhängigkeit vom so kostbar gewordenen Fisch zu entgehen, oder sie zumindest zu verringern. Aber das paßt nicht zu den Vorstellungen der Inselbewohner von ihrem Leben. Sie sind stolz auf ihre ganz eigene Gesellschaftsstruktur, in der es ihnen gelungen ist, Tradition und Fortschritt zu vereinen; einen Lebensstandard, der den Vergleich mit dem dänischen nicht zu scheuen braucht, mit einer Lebensqualität, in der von Streß und den anderen negativen Begleiterscheinungen des 20. Jahrhunderts nichts zu bemerken ist. Und sie wollen dieses ihr Leben nicht gefährden.

Daher spielt auch der Tourismus keine Rolle, obwohl die Färöer für gehetzte Europäer sicherlich ein ideales Entspannungsparadies wären - und er soll keine Rolle spielen. Die Färöer betreiben keine fremdenverkehrsfördernde Politik, „eher im Gegenteil“, gibt „Lagmann“ Atli Dam, der Regierungschef, zu.

So hat man auch den bislang 25 Ansuchern um Erdöl-Bohrlizenzen noch keine positive Antwort erteilt. Die Färinger fürchten die negativen Auswirkungen einer Ölproduktion mehr, als sie sich über vermutliche Einnahmen freuen.

Für die Landwirtschaft ist das Klima ungeeignet. Die Schafzucht, die der Inselgruppe ihren Namen gegeben hat (Färöer heißt Schafsinseln) und von der die berühmten warmen Pullover stammen, kann nicht ausgeweitet werden, da das Futter nur für etwa 40.000 Tiere reicht. So ist eine Umstrukturierung der Fischerei-Industrie das einzige Zugeständnis, das die Färöer an die geänderten Zeiten machen können. Man ist bemüht, die Produktion mehr und mehr auf „mar- ked ready products“, auf verkaufsfertige Ware, umzustellen. Ansonsten bleibt den Färingern nichts anderes übrig, als zu hoffen, bei den Großen dieser Welt Verständnis dafür zu finden, daß eine Idylle für 40.000 Menschen wichtig genug ist, um Ausnahmeregeln in internationale Verträge einzubauen.

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