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Glückliche Inseln!

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IN SEINER SÜDTIROL-ERKLÄRUNG vorn Frühjahr 1959 hat der damalige Bundesminister für Aeußeres Ing. Dr. Leopold Figl auf die Aaland-Inseln und auf die Färöer hingewiesen, wo sich dank des Verständnisses der Staatsregierung und des Mehrlieitsvolkes für die nationale Minderheit der Gedanke der nationalen Autonomie durchgesetzt und in dieser Durchsetzung bewährt habe. Dies wurde als ein Beispiel hingestellt, das sich Italien in der Autonomie Südtirols vor Augen halten solle.

. Der Hinweis war treffend. Was im besonderen die Autonomie der Färöer anlangt, so hat sie sich so sehr bewährt, daß die Färinger heute nicht einmal Neigung zeigen, weitergehende Selbständigkeit zu erhalten, als sie nach dem Autonomiegesetz haben.

WIE MAN DEM FÄRÖISCHEN AMTSKALENDER (Törshavn, Verlag H. N. Jacobsen) für das Jahr 1959 entnehmen kann, beträgt die Einwohnerzahl auf den Inseln insgesamt 32 437. Sie geht leicht zurück, nachdem sie lange Zeit hindurch ständig gestiegen war (1801 zählte man nur 5265 Einwohner, doch waren damals besonders schlechte wirtschaftliche Verhältnisse). Die Färöer — das Wort wird nach neuesten Forschungsergebnissen zu übersetzen sein mit „Die fernen Inseln“ und nicht, wie man herkömmlicherweise liest „Die Schafsinseln“ — haben eine Oberfläche von 1399 km2, wovon rund 6 Prozent nutzbarer Boden sind; das übrige ist Oedland, darunter kühn geformte Felshörner von beachtlicher Höhe (höchster Berg der Slaettaratindur, 882 m, auf der Insel Oeströ/Eystruoy) und schroffe Vogelfelsen und schmale vulkanische Felsnadeln (Holme), die aus dem hier fast stets wild aufschäumenden Ozean aufragen. Ihre Lage hoch im Norden (Nordspitze auf Enniberg bei 62° 24' nördlicher Breite), d- Aufspaltung auf viele, durchweg sehr lange, aber- schmale, von gefährlich befahrbaren Sunden und Fiörden durchzogene Inseln (17 Hauptihseln uhd ebenso viele kleine Inseln), vor allem aber ihre Lage abseits des Weltschiffsverkehrs hat die Inseln nicht gerade zu einem beliebten Reiseziel gemacht. Daher konnte sich schon frühzeitig hier eine Art Volkwerdung vollziehen.

Die ersten Entdecker der Färöer waren Iro- schotten, wie man aus Orts- und Flurnamen weiß (um 600 n. Chr.). Zwei Jahrhunderte später, um 800 n. Chr., kamen Normannen (Wikinger) und rotteten die frühere Bevölkerung völlig aus. Ihre Nachkommen entwickelten sich auf der abgelegenen Inselgruppe, die nur mit Island und Nordnorwegen in einem gewissen, obzwar nicht engen Kontakt blieb, zu einem eigenen Volk, dem Volk der Färinger. Dieses hat eine gewisse Verwandtschaft zu den Nordnorwegern, in der Schrift und in der Sprache auch zu den Isländern, und ist ein norrönes Volk, womit man eben diese Verwandtschaft mit den Nordnorwegern meint. Von einer engeren Verwandtschaft zu den Dänen kann keine Rede sein. Heute ist die färöische Sprache so weit entwickelt, daß der Däne sie weder sprechen noch verstehen kann, wie auch umgekehrt. Dazu kommt .das vom Dänischen teilweise verschiedene Schriftbild.

DAS AUTONOMIEGESETZ VON 1948, das von dem heutigen österreichischen Generalkonsul in Kopenhagen und langjährigen (dänischen) Rechtsanwalt in Torshavn, Husted Andersen, ausgearbeitet wurde, wurde vom färöischen Lag- ting und vom dänischen Reichstag übereinstimmend beschlossen und trat als dänisches Gesetz (Lov) Nr. 137 vom 23. März 1948 in Kraft. Es sichert den Färingern ihre eigene Sprache im gesamten öffentlichen und privaten Leben, Dänisch ist daneben aber zugelassen und muß in den Schulen, deren es sehr viele gibt (auch Mittelschulen), ausreichend gelehrt werden. Der Schulunterricht erfolgt in färöischer Sprache. In Kopenhagen ist übrigens eine Hochschullehrkanzel für Färöisch. Im Verkehr der Färöer mit den Kopenhagener Zentralstellen kann Dänisch und Färöisch beliebig verwendet werden. Den dänisch gehaltenen Erledigungen müssen färöische Uebersetzungen angefügt werden.

Träger der Selbstverwaltung (Heimastyri Föroya) ist das Lagting (lögting), das alle vier Jahre nach allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht gewählt wird (letzte

Wahl am 8. November 1958). Es kann vom Reich (das durch einen Statthalter, den Rigsom- budsman, vertreten wird) nicht aufgelöst werden und hat autonome Gesetzgebungskompetenz auf piner Reibe von Gebieten, die als „Sonderanliegen“ in zwei Listen, A und B,_ dem Autonomiegesetz angeschlossen sind. Bei diesen Sonderanlangen handelt es sich praktisch um alle für die nationale als auch die wirtschaftliche Existenz des färöischen Volkes wichtigen Angelegenheiten. Um eine Unterwanderung auzu- schließen, ist zum Lagting aktiv und passiv wahlberechtigt nur derjenige, der auf den Färöern das Heimatrecht besitzt (§ 10 des Autonomiestatuts). Damit ist es auch zugewanderten Dänen verwehrt, etwa gegen den Willen der Färinger dort durch Wahlrechtsausübung das politische Geschick der Inseln mitzubestimmen. Man vergleiche dazu die Lage in Südtirol! Im Zweifel geht freilich die Gesetzgebungskompetenz des Reiches vor (daher sind die Färöer auch nicht etwa Gliedstaat in einem Bundesstaat), endlich gibt es gewisse gemeinsame Anliegen (anliggender, färöisch: mal).

Vollziehungsorgan ist die Landesregierung (Landsstyrid), die vom Lagting gewählt wird (und zwar nach einem Koalitionspakt mit Parteienproporz der. am Pakt teilnehmenden — derzeit drei — Parteien). Sie besteht aus Vorsitzendem (lögmadur, Lagmand; wir würden sagen „Landeshauptmann") und zwei oder mehreren Landesregierungsmitgliedern. Derzeit hat (zufolge des Wahlergebnisses v.on 1958 erstmalig) die Sozialdemokratische Partei den Vorsitzenden (Peter Mohr Dam), die beiden Regierungsmitglieder sind Kristian D j u r h u u s von der Samband-Partei (die für eine enge Union mit Dänemark eintritt) und Niels Winther Poulsen von der Gamle-Sjalvstyre-Partei (die ein Hauptträger der Autonomie ist). Die Republika ner, die ganz los von Dänemark wollen, sind weiterhin in völliger Minderheit geblieben, was man als Ausdrück des Erfolges der Autonomie werten kann. Die Landesregierung vollzieht die vom Lagting beschlossenen Gesetze, sie hat aber auch ein sehr weitgehendes Verordnungsrecht.

DIE AUTONOMEN KOMPETENZEN, in denen die Färöer durch die vorgenannten Organe ohne jede Einspruchsmöglichkeit Dänemarks bestimmen können, sind vielfältig. Zu erwähnen wären aber als besonders wichtig: die eigene Steuerhoheit einschließlich der Zölle (die Inseln sind eigenes Zollgebiet), Ein- und Ausfuhrhandel, Währung (doch ist die färöische Krone der dänischen wertgleich und mit ihr gekoppelt), Schiffahrtswesen (die Färöer führen völkerrechtlich eine eigene Flagge und sind also eine eigene Schiffsnationalität),1 Fischereiwesen (die Färinger leben heute zum allergrößten Teil vom Fischfang), Landwirtschaftsangelegenheiten, Grundbuchwesen, Pressewesen. Das Schulwesen wurde wegen der damit verbundenen hohen Kosten nicht übernommen, obwohl es ein Sonderanliegen ist. Durch die Sprachenregelung im Auto nomiegesetz ist ohnehin der färöische Charakter der Schulen gesichert. Vom Rundfunk (Radio Törshavn) haben die Färinger das Programm übernommen, die technischen Sendeanlagen aber den Dänen belassen, da dies mit Geldausgaben verbunden wäre.

Die Färöer wirken auch an völkerrechtlichen Verträgen Dänemarks mit, soweit die Färöer davon betroffen werden, und haben einen Anspruch darauf. So ist auch das britisch-dänische Fischereigrenzabkommen, das im März 195 9 ratifiziert wurde und dem bekannten Streit um die Dreimeilenzone ein Ende setzte (sie wurde durchweg auf sechs Meilen erweitert), zuvor vom Lagting beschlossen worden, ehe es ‘dem dänischen Folketing vorgelegt werden konnte.

Die färöische Flagge (eine Umkehr des norwegischen Skandinavienkreuzes), die erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts von Studenten entworfen wurde, heute' aber auf den Inseln überall gezeigt wird, genießt besonderen Schutz. Der Danebrog darf daneben auch geführt werden.

Die Autonomie ist unter Verfassungsschutz gestellt. Hiefür ist ein eigenes verfassungsgerichtliches Verfahren festgelegt. ,

DANK DER VON DÄNEMARK VOLL RESPEKTIERTEN AUTONOMIE und dem klugen Maßhalfen' der FäfÖer.bei der' Uebernahme kostspieliger Sonderanliegen in ihre autonome Verwaltung sind die Färöer heute wirtschaftlich erstarkt,-was man überall feststellen kann. Die Hauptstadt Torshavn mit rund 6500 Einwohnern hat sich sichtlich modernisiert, in den Privatwohnungen herrscht Wohlstand. Fast jeder hat auch ein modernes Auto, obwohl die Straßen schlecht und vor allem sehr kurz sind; sie enden plötzlich an irgendeiner Felswand ober dem Meer oder in einem der vielen Fjorde, Freilich kann der Faring auch kaum Geld ausgeben. Das Reisen ist sozusagen rationiert. Nur ein einziges Schiff, der 2660 Bruttoregistertonnen große „Tjaldur" einer färöischen Schiffahrtsgesellschaft, vermittelt den Personenverkehr mit der übrigen Welt. Er verkehrt alle 14 Tage von und nach Kopenhagen. Flugplätze gibt es nicht. Der Verkehr zwischen den Inseln ist durch den Sturm oft sehr erschwert, zu manchen Inseln kann man nur selten im Jahr gelangen, so unruhig ist die See. Der ewige Regen (nur etwa 30 Tage im Jahr sind regenfrei) macht Spaziergänge und Ausflüge illusorisch. Doch sind die wichtigsten Städte wie eben Törshavn, vor allem aber das kleinere, nebligere und doch viel lebendigere Klaksvik im Norden und Tvera (Tveruroy) auf der Südinsel durchaus von modernem Leben erfüllt, wie inan es an so abgelegenem Ort nicht vermuten würde. Die Färinger haben sich eben wirtschaftlich erholt und sind dank ihrer Autonomie auch ihrer Eigenständigkeit bewußt und-dabei doch mit Dänemark in sehr gutem Einvernehmen.

Ein ausgezeichnetes Einvernehmen besteht auch zu den Katholiken. Deren gibt es etwa dreihundert auf den Inseln, in einer Pfarre in Törshavn. Der jetzige Pfarrer kennt und liebt übrigens Oesterreich sehr. Er betreut seelsorglich vor allem auch die dreißig Franziskanerinnen, die in Törshavn ein großes Kloster mit verschiedenen Schifltypen für rund dreihundert (durchweg protestantische) Kinder haben. Zum Ansehen der Katholiken dürfte auch das niederösterreichische Ehepaar Dr. Ernst und Franzi Krenn beigetragen haben, die als erste die' Färöer für den deutschen Sprachraum entdeckten und- vor kaum zwei Jahrzehnten auch die erste färöisch-deutsche Grammatik herausbrachten. Sie genießen auf den Inseln als Färöer-Volkskundler legendäres Ansehen.

So sind die Färöer heute ein Beispiel friedlichen Zusammenlebens verschiedener Völker in einem Staat.

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