Pilnacek - © Foto: APA / Georg Hochmuth

Christian Pilnacek: Umstrittener Diener nicht nur des Staates

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Christian Pilnacek (1962–2023) wurde Freitag vergangener Woche tot aufgefunden. Zur Klärung der Todesursache wurde eine Obduktion angeordnet.

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Christian Pilnacek (1962–2023) wurde Freitag vergangener Woche tot aufgefunden. Zur Klärung der Todesursache wurde eine Obduktion angeordnet.

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Wer Christian Pilnacek zuletzt zufällig in Wien auf der Straße begegnete, dem fiel die prall gefüllte, augenscheinlich schwere Aktentasche auf, die er regelmäßig mit sich trug. Als ob er immer noch die Strafgesetzgebung der Republik, die er „meine Heimat“ nannte und für die er dreißig Jahre im Justizministerium maßgeblich, leidenschaftlich und visionär reformerisch verantwortlich zeichnete, mit sich trüge. Der Mann trug auch schwer an seiner Suspendierung als Sektionschef, bekämpfte diese seit zweieinhalb Jahren mit der ihm eigenen Verve und juristischen Brillanz, die ihm selbst seine schärfsten Kritiker attestierten. Und war dabei teilweise erfolgreich, wie der Freispruch in einem Verfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses zeigt.

Sein Einsatz, wieder in „sein Amt“ zurückkehren zu können, wunderte niemanden, der Pilnacek noch als Chef seiner „Supersektion“ (Straflegistik und Fachaufsicht für alle Staatsanwaltschaften) bei Vorträgen oder Hintergrundgesprächen erlebte. Da staunte man über einen Vollblutjuristen, dem man gerne zuhörte und abkaufte, dass er „mit Herzblut“, wie er selbst sagte, „Praxisbezogenheit und Gesetzgebung“ unter einen Hut zu bringen versuchte. Die 2021 veröffentlichten Chatprotokolle seiner Handy-Korrespondenz zeichneten aber noch ein weiteres Bild von ihm. Statt des über den Parteien stehenden Spitzenbeamten zeigte sich Pilnaceks Parteilichkeit zugunsten türkiser Spitzenpolitiker. Die Allgemeinheit müsse darauf vertrauen können, so die Bundesdisziplinarbehörde, dass Beamte unparteiisch agieren. Pilnaceks Handlungen seien dazu geeignet gewesen, dieses Vertrauen zu erschüttern.

Diese Verletzung der Dienstpflicht in Kombination mit versuchter Vetternwirtschaft und dem Abkanzeln von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs kosteten ihn sein Amt – und viel von seiner Reputation. Wer die Zeitungsartikel der letzten Jahre zur Causa Pilnacek, zu diesen und anderen Chatprotokollen liest, findet am Ende jedes Beitrags den Stehsatz: „Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.“ Einer dieser Genannten ist auch Altkanzler Sebastian Kurz. Der leitete den zweiten Tag des Strafprozesses gegen ihn am vorigen Freitag mit der Nachricht vom überraschenden Tod des 60-Jährigen ein und würdigte dessen Expertise, die Österreichs Justizsystem stärkte: „Er war ein wahrer Diener des Staates.“ Stimmt. Aber leider nicht nur.

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