Willi Resetarits - © Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Willi Resetarits: Prolet auf heißem Pflaster

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Ein persönlicher Nachruf auf den Musiker und sozialen Aktivisten Willi Resetarits, der am 24. April 2022 verstorben ist.

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Ein persönlicher Nachruf auf den Musiker und sozialen Aktivisten Willi Resetarits, der am 24. April 2022 verstorben ist.

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Die Täuschungen und Enttäuschungen der Musikindustrie sind so inflationär wie uninteressant. Pop-Stars sind Machwerke von Großkonzernen und ihren Managern und Rechtsanwälten. Sie sind wie Waschmittel: Jedes wird als das beste angepriesen; wenn man es benutzt, ist jedes wie das andere. Was brauchbaren Pop ausmacht, ist ein Identifikationsangebot an eine bestimmte Generation. Pop-Musiker, die dieses Identifikationsangebot in Form von Songs, aber auch durch ihr Leben machen, sind Ausnahmeerscheinungen. Eine solche Ausnahmeerscheinung war Willi Resetarits.

Ich bin in einem kleinen Dorf im mittleren Burgenland aufgewachsen. Ich bin mit Kindern ins Gymnasium gegangen, die aus kroatischen Ortschaften kamen und die Volksschule in kroatischer Unterrichtssprache absolviert hatten. Das Zusammenleben der deutschsprachigen und kroatischsprachigen ­Bevölkerung in den Siebziger und Achtziger Jahren ging nicht immer ohne Rassismus ab. Umso klarer war mir damals, dass Gleichheit in jeder Hinsicht das höchste politische Gebot ist. Auch waren viele Burgenland­kroaten mit der konservativen Mehrheit in ihren Ortschaften unzufrieden, die das Kroate-Sein auf Folklore und Geschichtspflege reduzierten.

Und so geschah im mittleren Burgenland ein kleines Wunder: In ­Veliki Borištof (Großwarasdorf) wurde die KUGA gegründet, ein alternatives Kulturzentrum, das einer der wenigen Orte war, wo man die Schriftsteller, Kabarettisten, Jazz-Musiker und Bands hören konnte, die man auch wirklich hören wollte. Dort habe ich auch den Ostbahn Kurti das erste Mal live gesehen.

Er spielte in dem großen Klassenzimmer der alten Schule von Veliki Borištof, in der die KUGA untergebracht war. Obwohl er schon damals viel größere Auditorien füllte, waren diese Konzerte ungeheuer mitreißend. Der Ostbahn Kurti blieb viel länger auf der Bühne als geplant, denn die Forderungen nach Zugaben endeten nicht. Und es kamen – und das halte ich für einen wesentlichen Punkt – nicht nur Alternative ins alternative Kulturzentrum, sondern durchaus auch Konservative, die den Ostbahn Kurti sehen und hören wollten. Diese Kraft, diese integrative Kraft besaß er. Mit manchen seiner Covers erwirkte er eine gewisse Umkehr: Viele junge Leute kannten den „Joker“ vom Ostbahn Kurt und betrachteten das Original von Steve Miller als das Cover. Dennoch fand ich die Originalsongs immer die besten, zum Beispiel „Haases Pflosta“ aus dem Album „Liagn & Lochn“. Diese Schilderung des Lebens in der Gasse einer Vorstadt hat nicht nur die Burgenländer erreicht, von denen damals die Mehrheit nach Wien zur Arbeit pendelte und von Montag bis Freitag in billigen, kleinen Wohnungen meist in Favoriten lebte. Es ist eine poetische Darstellung, aber schonungslos und nicht verkitscht. Armut, Gewalt und Frustration werden darin benannt. In dieser Schonungslosigkeit liegt die Klarheit des Blicks auf soziale Probleme. Hier ist das, was die poetische Kraft eines Dylan Thomas oder eines Raymond Carver ausmacht, in den wenigen Zeilen eines Pop-Songs konzentriert.

Geradezu visionär ist daher das soziale und politische Werk des Willi Resetarits, dessen Herz das 1995 gegründete Integrationshaus ist.

Freilich brachten auch die Achtziger Jahre ihre düsteren politischen Entwicklungen, die wir heute im Rückblick viel klarer sehen. Nicht der Ostbahn Kurt wurde 1986 Bundespräsident und auch nicht der Steyrer Kurt, sondern der Waldheim Kurt. Und im selben Jahr betrat der Haider Jörg die Bühne dieses Landes. Die Folge war und ist ein politischer Rechtsruck, der mit deutlichen Katarakten in den Jahren 1986, 2000, 2016/17 ein Fluss ist, der seither immer breiter wird. Geradezu visionär ist daher das soziale und politische Werk des Willi Resetarits, dessen Herz das 1995 gegründete Integrationshaus ist.

Wir bestimmen die Chancen

Willi Resetarits, der aus einer Familie von Burgenlandkroaten kam, die in seiner Kindheit nach Wien übersiedelte, stellte nicht nur das Umfeld, das er kannte, in seinen Songs dar, er verallgemeinerte seine Erkenntnisse auch. Wo und wann und als wer wir geboren werden, ist zufällig. Welche Chancen und welche Hilfe die Gesellschaft den Menschen gibt, ist aber bestimmt – unsere Gesellschaft, wir alle, bestimmen es. In den flüchtenden Menschen dieser Welt, die gezwungen sind, an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen, erkannte Willi Resetarits ein neues Proletariat. Es ist das Proletariat, das die rohstoffabhängige fossile Gesellschaft mit ihren Kriegen und der Stützung von Diktaturen und Unrechtsregimen geschaffen hat.

Beim Proletariat kannte sich Willi Resetarits aus. Er hat es in seinen Liedern dargestellt, aber er hat es niemals denunziert. Seine Darstellung war immer empathisch. Und wie Viktor Adler, dessen politisches Engagement aus seiner Empathie und seinem Interesse für das Proletariat hervorging, ist Willi Resetarits vom Beobachten zum Handeln übergegangen. Er ist damit auch politisches Vorbild.

Die Musik des Willi Resetarits war kein Waschmittel, sondern das blutige T-Shirt, das die unsolidarische Gesellschaft darstellt. Die Nachricht von seinem Tod hat das von der Endzeitstimmung erfasste Österreich noch trauriger gemacht. Es wäre schön, wenn sie die Gesellschaft auch aufrüttelte.

Der Autor ist Schriftsteller. Zuletzt erschienen von ihm die ­Erzählungen „Die erfundene Frau“. 1994 gründet er zusammen mit Thomas Pfeffer, Jürgen Plank und Florian Wisser die Band Erstes Wiener Heimorgelorchester.

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