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Beleuchtungstechnik ist Charaktersache

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Freilich geht sie von bestimmten Sehaufgaben aus, die sie durch eine bestimmte Beleuchtungsstärke in ,Arbeitshöhe“, eine gewisse Schattigkeit, durch Vermeiden von Blendung ermöglicht. Es genügt jedoch, sich klarzumachen, daß nicht überall bestimmte Sehaufgaben vorliegen, um an die Grenzen dieser Exaktheit zu kommen. Wenn man auch annimmt, daß für jede bestimmte Verrichtung eine „richtige“ Beleuchtung konstruiert werden kann, so hilft dies nicht für Räume, in denen keine (oder jede) bestimmte Verrichtung stattfinden soll — jene Räume, die dem Aufenthalt, dem Vergnügen, der Repräsentation dienen und die man unter dem Begriff des „Wohnens“ zusammenfasen kann.

Hier geben Beleuchtungstechniker meist im großen die „optimalen“ Lichtverhältriisse an (auf Grund von ersonnenen Sehaufgaben); den Rest überlassen sie dekorativen Spielereien. Im Grunde entspricht dies jener äußerlichen Gegenüberstellung von Technik und Kunst, die viele überwunden glauben.

Tatsächlich liefert aber eben die Beleuchtungstechnik das Begriffs-material, bewußt L^chtwir.kungen 3u planen, das heißt, den Wirkungen nachzugehen, die durch .Veränderungen von Helligkeit, Schattigkeit, Lichtfarbe, Blendung, reflektierenden Oberflächen usw. entstehen.

Ein Raum mit hellen und dunklen Zonen zum Beispiel bietet mehr optische „Information“. Personen können sich ins Licht oder aus dem Licht bewegen, für die im Licht Sitzenden ist es „gemütlich“, wenn es rundum dunkler ist. Dagegen steht etwa die Schönheit eines völlig gleichmäßig und diffus erleuchteten Raums, in dem überall gleiche Bedingungen herrschen.

Werden solche Wirkungen auch zuweilen bewußt angewendet, so sind andere — zum Beispiel die von Unterschieden in der Lichtfarbe (Spektralverteilung) — praktisch unbekannt, obwohl sie Räume ganz entscheidend charakterisieren. Dem Vorurteil gegen Mischlicht — wie dem gegen Blendung — ist entgegenzuhalten, daß alles erlaubt sein muß, was nicht durch Unkenntnis, sondern durch Entscheidung zustande kommt.

Als Beispiel vorurteilsloser Beleuchtungsplanung könnte man den Bühnenraum bezeichnen; freilich wären die hier der Illusion dienenden Errungenschaften auf den wirklichen Raum, in dem sich Menschen aufhalten, anzuwenden. Das Raumerlebnis wäre nicht durch Konstruktion, sondern durch die variablen Lichtwirkungen bestimmt; die thematischen Wirkungen einer Dekoration würden durch Projektionen weit übertroffen. Wenn es sich hierbei auch begrifflich um das „Wohnen“ handelt, so sind Realisierungen in größerem Maßstab wohl dem Bau von Ausstellungs- und Vergnügungsstätten vorbehalten.

Das Prinzip ist aber nicht an Aufwand gebunden. Es ist eine Frage der Einsicht, ob man die Anstrengung, mit der heute Materialien, Texturen, Dessins usw. gewählt werden, auf die Beleuchtung wendet und dabei statt für Beleuchtungskörper eine Sensibilität für das Licht selbst entwickelt. Die „europäische Geistesrevolution“ wäre freilich nicht Folge, sondern Voraussetzung; bisher hat sie nicht ätattgefunden.

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