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Mehr Licht

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Tn manchen Tanzlokalen wechselt der Disc-Jockey nicht nur die Schallplatten, sondern auch die Beleuchtung; und es mehren sich die Anzeichen, daß er in Zukunft auch die Projektion von Bildern und Filmen bedienen wird.

Der Effekt ist freilich bescheiden.Tatsächlich wären aber Räume denkbar, deren Wirkung nicht auf ihrer Baugestalt, sondern auf ihren Lichtverhältnissen beruht. Nicht nur würde solche Architektur das treffen, wovon ohnehin das Erlebnis am meisten abhängt (wenn man einmal von der Temperatur absieht), sie wäre auch imstande, ihre Wirkungen zu verändern, ohne daß Material bewegt werden müßte.

Seit den Elektrizitätsausstellungen ts ^^ehnten Jahrhunderts hat s, Jlurch .Knopfdruck beherrschte Licht die Menschen begeistert. Um die Jahrhundertwende hat der Dichter Paul Scheerbart eine Architektur aus Glas und Licht beschrieben; Bruno Taut und sein Kreis haben sie später in utopischen Entwürfen dargestellt. „Zwischen der äußeren und inneren Glashaut sitzt die Beleuchtung. Sie wird nach innen und außen, wechselnd je nach Vorgang im Raum und Wirkung nach außen, eingeschaltet und leuchtet außen und innen durch überall farbige reiche Glaswände. Fährt man nachts im Flugzeug zum Hause hin, so leuchtet es von weitem wie ein Stern“ (Bruno Taut: Haus des Himmels, 1920). Nach Uberwindung der letzten technischen Schwierigkeiten bringen Glas und Licht „die europäische Geistesrevolution“, machen „aus einem beschränkten, eitlen Gewohnheitstier einen wachen, hellen, feinen und zarten Menschen“ (Adolf Behne).

Statt dessen spielt das Licht weder im Bewußtsein der meisten Architekten noch in dem des Publikums eine Rolle. Zuweilen ist er aus der Zimmermitte gerückt, aber wie ehedem „drängen sich die Leute unter ihrem Luster, einäugig und geduckt wie traurige Tiere“ (he Corbusier).

Einer hochentwickelten Beleuchtungstechnik steht eine allgemeine Unsicherheit in ihrer Anwendung gegenüber. Zu allen Zeiten wurde unbefangen das hellste Licht für das beste angesehen; heute zeichnen sich Aufenthaltsräume vor allem dadurch aus, daß sie „gedämpft“ beleuchtet sind. Während man längst weiß, nach welchen Gesichtspunkten Fabriken zu beleuchten sind, bringen selbst Beleuchtungstechniker in Wohn- und Repräsentationsräumen „Zierleuchten“ an und nehmen die meist recht zweifelhafte Lichtwirkung in Kauf.

: Zu allen Zeiten bot die Lichtquelle selbst, ihre Handhabung, die Brennstoffzufuhr so große Schwierigkeiten, daß ihre Bewältigung Gedanken an „Gestaltungs“-Pro-bleme nur am Rande aufkommen ließ. Selbst an den Lustern der Jahrhundertwende ist zu sehen, mit welcher Scheu der reine, klare Lichtkörper auf seine prunkvoll verzierte Aufhängung gesetzt wurde; heute, ' da er nicht mehr wirklich technisches Problem ist, hat die „gute Form“ sich seiner bemächtigt.

Nicht daß wir aus Glühbirne oder Leuchtstofflampe Wieder ein Problem machen könnten — sie sind tatsächlich uninteressant. Es „muß

erkannt werden, daß nicht mehr die konzentrierte Lichtquelle selbst oder die Art, wie sie geformt ist, wesentlich und wichtig für ihre Wirkung ist“, daß „der lichtspendende Beleuchtungskörper selbst, einst ein bedeutendes Objekt der Raumausstattung, nichts Wesentliches mehr aussagt“. „Es ist nichts Körperliches, sondern das Licht selbst, Helligkeit, Dunkelheit, Variabilität, die den Raum durch das Medium Licht verändern“ (Konrad Wachsmann).

Als „indirekte Beleuchtung“ haben solche Gedanken sogar'. Mode gemacht; .aber natürlich geht es nicht darum, die Lichtquellen unsichtbar zu machen, was wieder nur eine formale Maßnahme wäre. Jede formale Gestaltung von Leuchten führt um so mehr in die Irre, je „besser“ sie ist. Entscheidend ist, daß Beleuchtungskörper nur erörtert werden im Hinblick auf die Lichtverhältnisse, die sie schaffen.

In solcher Betrachtung ist das Tageslicht kein Gegensatz zum künstlichen, sondern dessen Sonderfall,die Sonne eine Lichtquelle unter anderen (freilich eine sehr wirtschaftliche). An sich führt die Natur zwei Beleuchtungsfälle auf vollkommene Weise vor: das diffuse, schattenlose Licht der bedeckten Himmelsfläche, die selbst nicht blendet, und das gerichtete, kontrastreiche Licht der Sonne, deren Blendung so stark ist, daß das Auge sie meidet. Aber der Bau muß seine Lichtverhältnisse neu schaffen; die Glasfenster der Gotik, die Lichtführungen des Barock zum Beispiel kann man als großartige Versuche ansehen, diese ungeheure Lichtquelle zu beherrschen und zu einer künstlichen zu machen.

Unser übliches Wandfenster ist eher ein Beispiel von unbewältig-tem Tageslicht. Dadurch, daß es die hellsten und die dunkelsten Stellen des Raums in Augenhöhe nebeneinanderbringt und das Hinaussehen nicht nur ermöglicht, sondern durch seine große Helligkeit geradezu erzwingt, kann es eine starke Belastung darstellen. 1921 fordert Bruno Taut „Fenster, einheitlich ausgebildet, in ihrer Anordnung unterschieden als Fenster zur Beleuchtung des Raumes und solche zum Hinaussehen“, 1927 Gropius „Trennung von Belichtung, Belüftung und Aussicht“.

Während des zweiten Weltkrieges verzichten amerikanische Rüstungsbetriebe mit 24-Stunden-Betrieb überhaupt auf das Tageslicht und beleuchten Hangars und Fabriken ausschließlich künstlich, um gleichmäßige Bedingungen zu erhalten. In diese Zeit fällt ein großer Aufschwung der Beleuchtungstechnik, besonders der Leuchtstofflampen, und ein gesteigertes Verlangen nach Helligkeit, dem sich Europa nur zögernd anschließt.

Solange die Beleuchtungstechnik sich vorwiegend mit der Weiterentwicklung der Lichtquellen beschäftigen mußte, war sie eigentlich „Lichttechnik“ und eine exakte Wissenschaft. Sobald sie sich aber damit befaßte, wie und wo die Lichtquellen anzuwenden seien, verließ sie das „wertfreie“ Gebiet und begab sich auf das des Meinens und Gestaltens, auf dem die Person entscheidet.

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