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Im Spiegel der Geistesgeschichte

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Ein kluges, aufschlußreiches und überaus lesenswertes Buch, in dem der Verfasser die Entwicklung der Naturwissenschaften von der klassischen Antike über das Mittelalter (richtigerweise auch mit Berücksichtigung der arabischen Wissenschaft) bis zur Jetztzeit im Rahmen der Entwicklung der allgemein philosophischen Anschauungen und der Zeitgeschichte verfolgt und die vielfachen Zusammenhänge in dieser Entwicklung an dem besonderen Beispiel einer Geistesgeschichte der Chemie erläutert. Auch wenn man die erkenntnistheoretische Grundeinstellung des Verfassers nicht ganz teilt, sind seine Ausführungen ungemein instruktiv und auch für den empiristisch eingestellten Fachwissenschaftler ein reicher geistiger Gewinn.

Der Verfasser kommt auf Grund seiner vielfältigen Analysen zu dem Schluß, daß es stets die allgemein philosophischen Lehrgebäude sind, welche die Theorien und Entdeckungen der Fachwissenschaftler anregen und erzeugen, die dann erst im nachhinein experimentell verifiziert werden. Dementsprechend sieht er auch eine auffallende Parallele zwischen einer gewissen Periodisierung in der Geschichte der Philosophie und der der Chemie. Seine Thesen erscheinen für die Antike und das

Mittelalter recht überzeugend und machen auch manche Irrwege in der Geschichte der Chemie verständlich. Für die neuere Zeit scheinen die Darlegungen des Verfassers aber doch eher zu zeigen, daß nur jene philosophischen Gedankengänge einen fruchtbaren Hintergrund bieten konnten, aus denen heuristisch brauchbare Arbeitshypothesen abzuleiten waren und daß daher manche philosophischen Formulierungen sogar hemmend auf den Fortschritt der Erfahrungswissenschaften gewirkt haben.

Für die neueste Zeit endlich erscheinen die Thesen des Verfassers nicht mehr überzeugend. Die modernen Naturwissenschaften sind vielmehr auch in der Art ihrer Hypothesen- und Theorienbildung ganz autonom, erachten die Bindung an ein philosophisches Gedankengebäude als nicht legitim, beziehen ihre oft kühnen Hypothesen aus dem eigenen Erfahrungsbereich und wählen unter ihnen rein nach dem Ausmaß ihres heuristischen Wertes. Die geistesgeschichtliche Relativität auch dieser Situation gezeigt und ihre Vorgeschichte in der Entwicklung des europäischen Geistes dargelegt zu haben, ist jedoch ein Verdienst dieses Buches, dessen Lektüre auch für den Naturwissenschaftler manche neue Aspekte bietet.

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