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Neue Waffen in der Werbebranche

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Der Markt findet in unseren Köpfen statt. Das nutzt die Werbebranche und setzt neuzeitliche Erkenntnisse der Gehirnforschung als schlagkräftige Werbewaffe ein.

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Der Markt findet in unseren Köpfen statt. Das nutzt die Werbebranche und setzt neuzeitliche Erkenntnisse der Gehirnforschung als schlagkräftige Werbewaffe ein.

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Während seit Jahrzehnten Unternehmen immer wieder über Sinn und Unsinn teurer Werbemaßnahmen diskutieren, spricht jetzt auch die Öffentlichkeit über die Sinnhaftigkeit so mancher Werbekampagne. Exerzieren uns doch die „Werbegags", die für die italienische Firma Benetton aufbereitet wurden, vor (zum Beispiel „Nonne küßt Priester"), daß das Werbespektrum weit über die Grenzen des guten Geschmacks hinausreicht.

Doch die neuzeitliche Strategen sind sich einig: Werbung wird nicht betrieben, weil sie schön ist, Kulturgut oder Unterhaltungsmedium ist; sie hat keinen anderen Auftrag, als einen möglichst baldigen Gewinn mit dem eingesetzten Kapital zu erzielen. Kurz: Werbung soll verkaufen. Sie soll Käufer dazu bewegen, das beworbene Produkt zu kaufen. Da Entscheidungen im Kopf getroffen werden, zielen immer mehr Werbespots auf das menschliche Gehirn.

Ein Beispiel: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause; Auf diese Steine können Sie bauen; Das Glück braucht ein Zuhause, bauen wir's auf", sind gehirngerecht geformte Werbespots.

Die Anleitung, wie man mit unserem Gehirn arbeitet, liefern Biologen, Anthropologen und Psychologen. So ist das „Struktogramm", entwickelt von dem Anthropologen Rolf W. Schirm, ein Modell, das die Werbewirtschaft bereits kräftig nutzt.

Das menschliche Gehirn setzt sich aus drei Gehirnbereichen zusammen, die auf unterschiedlichen Stufen der Evolution entstanden sind:

Der älteste Teil ist das Stamm-hirn. Es hat sich bereits in der Urzeit bei Reptilien entwickelt. Darüber befindet sich eine entwicklungsgeschichtlich jüngere Hirnregion, die bei den frühen Säugetieren entstand, das Zwischenhirn. Das jüngste unserer Gehirne ist das Großhirn.

Diese unterschiedlichen Gehirne arbeiten zusammen und haben dennoch ihre speziellen Funktionen und Zuständigkeiten. Rei jedem Menschen sind diese drei Gehirne unterschiedlich stark ausgeprägt. Das macht unsere Individualität aus, und deshalb sind wir nicht immer gleicher Meinung.

Menschen, die starke Gesellungstendenzen zeigen, ein starkes Redürfnis nach Geborgenheit haben und Neuerungen sowie Veränderungen sehr skeptisch gegenüberstehen, sind voraussichtlich deutlich Stammhirn-dominiert. Das Stammhirn ist für die Selbsterhaltung zuständig. Fingerspitzengefühl, Intuition und Menschenkenntnis gehören zu den Stärken dieser Gehirnregion. Der Erfolgsfaktor ist Sympathie.

Dagegen ist eine sehr entscheidungsfreudige, dynamische Persönlichkeit, die Initiative und Durchsetzungsvermögen zeigt, eher Zwischenhirn dominiert. Risikofreude und Schnelligkeit gehört zu den Stärken dieser Gehirnregion. Das Zwischenhirn ist für die Selbstbehauptung zuständig und sein Erfolgsfaktor heißt „Mitreißen".

Überlegtes Handeln, Voraussicht, Planung und Zurückhaltung sind Eigenschaften, die dem Großhirn zugeordnet werden. Ordnung, Logik,

Systematik und Abstraktionsvermögen sind einige Stärken dieser Hemisphäre. Das Großhirn ist für die Selbstverwirklichung zuständig und hat als Erfolgsfaktor „Überzeugen".

Welche Hirnregionen uns tatsächlich dominieren, läßt sich nur durch eine intensive Biostrukturanalyse ermitteln. Marketing- und Werbestrategen haben sich dieses Wissen aber schon längst zunutze gemacht. So werben beispielsweise Bausparkassen mit dem Slogan „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause." Das sind deutliche Signale an das Stamm-und Großhirn. Wobei das Wort „Zukunft" an das Großhirn und „Zuhause" an das Stammhirn adressiert ist. Die Botschaft „Auf diese Steine können Sie bauen" ist an das Stammhirn gerichtet. Sie signalisiert „solide und gediegen."

Wer den Buf „Das Glück braucht ein Zuhause - bauen wir's auf vernimmt, erhält unter anderem eine Depesche für die Abteilung Zwischenhirn. Denn „bauen wir's auf" ähnelt dem „packen wir's an".

Viele Branchen setzen das Wissen um unsere Gehirne zur Zeit um. So auch die Fertighausbranche. Im Modell „Landhaus" sollen sich Stammhirn-gesteuerte Menschen wohlfühlen. Extravagante Architektur lockt, so hoffen die Marketingstrategen, die vom Zwischenhirn dominierten Kunden an. Moderne Architektur mit technischen Details, Funktionialität und Klarheit richtet sich an unser Großhirn.

„Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben" kokettiert mit dem Zwischenhirn und wurde schon vor vielen Jahren in der Zigarettenbranche verwendet. Aber auch die Optiker-Branche flirtet mit unseren Gehirnen. „Biologisch, ökologisch, Brillen aus natürlichem Material" sind Locksignale an das Stammhirn.

In Bild, Form, Schrift und Sprache werden die Depeschen an unseren Kopf geschickt. Denn jede Entscheidung entsteht im Kopf, auch die Kaufentscheidung. Der Wissenschaftszweig „Neurolinguistische Programmierung" hat schon vor einigen Jahren entdeckt, daß unser Gehirn auf das Erreichen von Zielen programmierbar ist. Doch hier wird sich wohl die Frage stellen: Wer ist der Programmierer? Wir selbst oder zukünftig immer mehr andere?

der autor ist

Geschäftsführer der Chairman In-dividual Training GesmbH.

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