Die Schule der europäischen Russen

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In der Aula des staatlichen Gymnasiums 10 in Riga herrscht gespannte Stille. Die lettische und die europäische Flagge sind auf die Leinwand projiziert. "In vielfältiger Einheit" lautet das Motto der diesjährigen Europafeier. Heute ist der sozialdemokratische Parlamentarier Nikita Nikiforovs eingeladen, um mit den Mädchen und Burschen über Europa zu diskutieren. "Warum gehen so viele junge Letten nach Westeuropa?", "Warum will die EU russisches Gas boykottieren?" oder "Was bringt uns die Mitgliedschaft in der Euro-Zone?" lauten wenig später die Fragen der Jugendlichen. In der russischen Minderheiten-Schule wird an diesem 9. Mai nicht der russische "Tag des Sieges" gefeiert, sondern der "Europatag", denn die Schule nimmt am "Euroskola"-Projekt der EU teil. "EU-Gelder ermöglichen Lehrer-Fortbildungen, Renovierungen, Schüler-Projekte und Reisen ins Europa-Parlament nach Straßburg", erklärt die Lehrerin und EU-Koordinatorin Jelena Sokolova.

Das lettische Schulsystem ist nach wie vor ein zweigeteiltes: Lettische Kinder besuchen lettische Schulen, russischstämmige und russischsprachige Kinder besuchen russische Schulen mit bilingualen Programmen. "Achtzig Prozent unserer Schüler sind russisch, der Rest setzt sich aus anderen osteuropäischen Nationalitäten zusammen", erzählt Direktorin Svetlana Korzenkova. Der Unterricht wird je zur Hälfte in Lettisch und in Russisch abgehalten. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist auch an der Schule ein Thema. "In der Geschichte-Stunde diskutieren wir Fragen zur politischen Lage in der Ukraine. Ich bin überzeugt, dass wir innerhalb der Klasse auch unterschiedliche Meinungen haben dürfen und allen zuhören sollten", sagt Geschichte-Lehrerin Jelena Sarapova. "Aber wir baltische Russen sind im Gegensatz zu den Russen in der Ukraine und in der Russischen Konföderation vor allem am Westen interessiert", betont sie.

EU-Jugendclubs sind populär

Offiziell wird an den lettischen und russischen Schulen der gleiche Inhalt in den Fächern Geschichte und Politische Bildung vermittelt. Viele der Lehrkräfte an der Euroskola haben schon zu Sowjetzeiten unterrichtet. "Wir Lehrer haben uns schnell an die neuen Zeiten angepasst, neue Unterrichtsmethoden und neue Inhalte vom Bildungsministerium vermittelt bekommen", sagt Direktorin Korzenkova.

Seit Lettlands EU-Beitritt vor zehn Jahren gibt es an der Schule einen europäischen Jugend-Club namens "Klubs Maja". Auch der Geschichte-Student Nils Mosejonoks ist Mitglied eines "Klubs Maja" für Leute zwischen 16 und 25 Jahren. "Wir versuchen junge Leute durch Freizeit-Aktivitäten und Wettbewerbe für die EU zu interessieren. Sie sollen sich einbringen und mit diskutieren", erklärt Mosejonoks. Die Mitglieder befragen etwa Passanten zu den Europa-Wahlen, veranstalten Flashmobs oder gestalten Installationen an Schulen. "Wir wollen zeigen, dass die EU keine langweilige, bürokratische Sache ist, sondern etwas, woran wir teilhaben können und woraus wir viel Positives gewinnen können", sagt der 20-Jährige. "Manche Letten schimpfen über die EU, aber profitieren davon. Ihnen sollte bewusst werden, woher das Geld kommt." Der Europa-Club ermöglicht auch Auslandsaufenthalte für junge Erwachsene, die in einem der EU-Länder arbeiten wollen. "Das machen immer mehr Letten, und es ist gratis. Man kann sich das Land aussuchen", erzählt Mosejonoks. Ein Problem ist allerdings, dass viele junge Letten das Land verlassen, weil sie nach besser bezahlten Jobs suchen.

Zur Ukraine-Krise gibt es am Geschichte-Institut der Universität Riga, wo Mosejonoks studiert, viele Meinungen. "Die Positionen der Professoren unterscheiden sich zu 180 Grad." Doch die Atmosphäre zwischen lettischen und russischen Studierenden am Institut empfindet er als sehr gut. "Die russischen Kommilitonen sprechen sehr gut Lettisch und wir sind miteinander befreundet."

In den letzten Monaten hat sich Mosejonoks mit den Jugendlichen im Europa-Club mit dem zu Jahresbeginn eingeführten Euro beschäftigt. "Die Reaktionen darauf waren mehrheitlich negativ. Weil der Lats mehr wert war als der Euro, scheint es, als ob alles teurer geworden wäre", erklärt er. Die Diskussions-Themen werden dem Europa-Club nicht so schnell ausgehen: Im Oktober wählen die Letten ein neues Parlament. Und mit Jänner 2015 übernimmt Lettland die EU-Ratspräsidentschaft.

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