"Du musst raus aus Serbien"

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Weil er von Angehörigen mafiöser Zirkel in Belgrad erpresst und bedroht wurde, suchte Zoran in Deutschland um Asyl an. Doch die Behörden schoben ihn ab. Seither lebt er versteckt.

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Weil er von Angehörigen mafiöser Zirkel in Belgrad erpresst und bedroht wurde, suchte Zoran in Deutschland um Asyl an. Doch die Behörden schoben ihn ab. Seither lebt er versteckt.

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Zorans Hände umklammern das Lenkrad. Seine Augen heften sich an die Linie, an der die letzten Ausläufer des Balkangebirges gegen den stahlblauen Himmel stoßen. Erst als die Polizeistreife im Rückspiegel verschwunden ist, spricht er weiter. Zoran ist Anfang fünfzig, die wachen blauen Augen wirken jünger und noch so umtriebig wie damals, als der bullige Mann als Bodyguard in Belgrad tätig war. Heute fürchtet Zoran den Staat. Sein Freund sei im vergangenen Jahr auf offener Straße angeschossen worden. Auch Zoran wurde angegriffen, er floh nach Deutschland. "Sonst? Kaputt", beschreibt er seine jetzige Lage.

Weil sein Asylantrag im baden-württembergischen Böblingen scheiterte, wurde Zoran im Februar abgeschoben. Jetzt ist er zurück in Serbien, mit ihm zurück ist die Angst. Deshalb gibt es hier keine Fotos von Zoran, der eigentlich anders heißt. Er lebt in einem Dorf im Süden, gerade weit genug weg von Belgrad und der Staatsmacht.

Sicher oder nicht sicher

Serbien steht seit einem Jahr auf der Liste der "sicheren Herkunftsstaaten". Weil sie nicht als politisch verfolgt gelten, können Flüchtlinge vom Westbalkan schneller abgeschoben werden. Bereits vor der Gesetzesänderung wurde 2014 nur rund jeder dreihundertste Asylantrag aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angenommen. Und angesichts der enormen Flüchtlingszahlen hat Deutschland kürzlich auch Kosovo, Montenegro und Albanien als sicher erklärt.

Andere Länder legen die Genfer Flüchtlingskonvention anders aus. In der Schweiz gilt Serbien nicht als sicher, zuletzt erhielten 37 Prozent der Antragsteller Asyl. Auch Menschenrechtler beklagen Diskriminierung und Verfolgung in Serbien: Amnesty International berichtete im Juli, wie die Wohnungen von 53 Roma-Familien in der Hauptstadt Belgrad gewaltsam geräumt wurden.

Petar Zmak sitzt im Veranstaltungsraum der Bürgerinitiative "Gradanske Inicijative" in Belgrad. Der serbische Nationalismus der Neunzigerjahre sei nie aufgearbeitet worden, sagt Zmak. "Die Diskriminierung von Minderheiten ist ein Symptom davon." Seit 2009 gibt es in Serbien ein Antidiskriminierungsgesetz, die Gewalt vor allem gegen die Roma sei tatsächlich zurückgegangen. Zmak berichtet aber auch von Nachteilen bei der Jobsuche, eingeschüchterten Familien, zerstochenen Reifen und willkürlich abgestelltem Strom.

Zoran lebt heute wieder auf dem Land. Auf dem Couchtisch seiner Plattenbau-Wohnung stapeln sich mittlerweile die Dokumente, die sein Leben erzählen. "Abgeschoben", steht auf Deutsch in seinem Pass, seine alte Dienstmarke liegt gleich daneben. 1994 schmiss er sein Studium in Belgrad, um "High Class Bodyguard" zu werden. "Wir waren top ausgebildet", sagt Zoran, seine Kunden seien vor allem wichtige Leute aus der Wirtschaft gewesen. 17 Mal sei Feuer auf sie eröffnet worden, niemals sei seinen Schützlingen etwas passiert, sagt Zoran. Um das nächste Kapitel seines Lebens zu erzählen, reicht ein Wort: "Kaputt", sagt Zoran immer wieder und kreuzt die Arme vor der Brust. Er sei unter dem ultranationalistischen Regime von Slobodan Milos evic´ in Ungnade gefallen. Die wichtigen Leute in Polizei und Justiz seien heute immer noch die gleichen wie damals.

Seine Arbeit, auch zu Milos evic´s Zeiten, sei immer legal gewesen, das ist Zoran wichtig. Als ihm 1999 zwei Generäle der serbischen Armee den Auftrag erteilten, den Belgrader Mafioso Sredoje Sljukic´ zu bewachen, lehnte er ab. "Ein paar Tage später wurde ich im Restaurant von drei Polizisten attackiert", erzählt Zoran. Der General verdächtigte ihn, für die NATO zu arbeiten. Also versteckte sich Zoran in Südserbien. Irgendwann trieb ihn die Perspektivlosigkeit zurück nach Belgrad. Dort wurde Zoran von der Vergangenheit eingeholt - ein General suchte ihn auf: "Du musst einen großen Wirtschaftsboss killen", habe er gesagt. Zoran drohte, ihn anzuzeigen. Zorans Blick wandert rastlos durch das kleine Wohnzimmer, er umklammert seine Bodyguard-Dienstmarke wie einen Schutzschild. Drei Tage später, erzählt er, passten ihn zwei Autos auf der Straße ab. Sechs Schlägertypen griffen ihn an, Zoran konnte fliehen. Als dann ein Freund angeschossen wurde, riet der ihm: "Du musst raus aus Serbien."

Also floh Zoran, im Juni 2014 kam er in Deutschland an. In Böblingen beantragte er Asyl, im November kam er zu einem Entscheider des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dort wurde ihm ein mazedonischer Dolmetscher zugeteilt. Er solle das akzeptieren - oder er müsse direkt zurück nach Serbien, sei ihm gesagt worden. Ein BAMF-Sprecher zieht diese Version in Zweifel - ein Asylbewerber müsse das Gesprächsprotokoll unterzeichnen und habe Anspruch auf korrekte Übersetzung.

"Das Interview war nicht gut", sagt Zoran. Daran konnte auch ein Gutachten nichts ändern, das Zoran aus den Dokumenten auf dem Wohnzimmertisch fischt. "Depressive Störung", bescheinigte ihm ein Psychologe und "Suizidalität." Das nächste Dokument dieser Geschichte ist ein Stempel der Bundespolizei. "Abgeschoben" steht da, ein Datum im Februar. Ausreise am Flughafen Baden-Baden. Hier finden regelmäßig Sammelabschiebungen in Charterflugzeugen statt. "Als ich in Belgrad ankam, dachte ich, in zehn Minuten bin ich tot", sagt Zoran. Seitdem, erzählt er, habe die serbische Polizei mehrmals versucht, ihm etwas anzuhängen. Zuletzt im Oktober.

Abschiebungs-Charter

Eine Abschiebung kostet je nach Auslastung der Chartermaschine zwischen 800 und 1.000 Euro, teilt das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe mit. Der Abgeschobene muss, wenn er wieder deutschen Boden betritt, "die hohen Kosten hierfür, auch nach vielen Jahren, selbst tragen" - so droht ein Video des Innenministeriums auf Deutsch, Serbisch und Albanisch. Flüchtlinge vom Balkan scheinen unerwünscht.

"Das folgt der perfiden Logik einer Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge", findet der Jurist Maximilian Pichl von Pro Asyl. "Wenn über der Anhörung beim BAMF das Damoklesschwert 'sicherer Herkunftsstaat' hängt, dann ist der Aufwand auf Seite des Flüchtlings, den Asylantrag zu begründen, viel höher", sagt Pichl.

Nun hofft Zoran auf eine zweite Chance. Eine Schlüsselrolle könnte dabei Artikel 116 des Grundgesetzes spielen, der Vertriebenen und deren Nachfahren Schutz gewährt. Zoran zieht ein Blatt Papier aus einer Mappe. Es ist die auf Deutsch abgefasste Geburtsurkunde seines Großvaters - geboren 1913 in Hodschag (Odz aci), heute in der Vojvodina gelegen. Zorans Ahnen gehörten zur Minderheit der Donauschwaben, im Zweiten Weltkrieg wurden sie von der Wehrmacht nach Österreich deportiert.

Artikel 116 lässt Zoran weiter hoffen. Seit er zurück in Serbien ist, hat er wieder Kontakt zur katholischen Kirche in Hodschag, dem Geburtsort seines Großvaters. Er hofft, dort weitere Nachweise für seine donauschwäbische Abstammung zu finden. In Serbien bleiben möchte er auf keinen Fall - und doch sieht im Moment alles danach aus, als müsse er Weihnachten am Fuße des Balkangebirges verbringen.

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