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Die Motive für eine. Kodifikation des Arbeitsrechtes

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Die Motive für eine. Kodifikation des Arbeitsrechtes

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In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung des Arbeitsrechtes im Rahmen der gesamten Rechtsordnung immer mehr zugenommen. Mit dem Erstarken der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer ist schrittweise ein Ausbau der arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen für die Arbeiter und Angestellten einhergegangen. Freilich war die Entwicklung im Bereich des Arbeitsrechtes uneinheitlicher und ungeordneter als in anderen Rechtsbereichen: Die Sozialgesetzgebung hat sich nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen europäischen Ländern nicht auf Grund langfristiger Sozialkonzepte, nicht mit dem Blick auf grundlegende gesellschaftspolitische Zielsetzungen hin entwickelt, sondern auf Grund der verschiedenen Machtstellung der einzelnen Gruppen in der Gesellschaft und ihrer Interessenvertretungen. Der Differenzierung dieser Machteinflüsse innerhalb der Arbeitnehmerschaft entsprechend, hat sich auch das Arbeitsrecht in vieler Hinsicht uneinheitlich entwickelt.

Gegen die Zersplitterung

„Das Hauptziel einer Kodifikation des Arbeitsrechtes muß es sein, die ungeheure Zersplitterung des Rechtsstoffes zu beseitigen.“ Diese These in den Bemerkungen zum I. Teilentwurf der Kodifikation des Arbeitsrechtes bedeutet, daß es bei der geplanten Kodifikation des Arbeitsrechtes um mehr als um ein Sammeln des Inhaltes einer Reihe von Gesetzen in einem großen Gesetzbuch geht, nämlich um eine umfassende Zusammenfassung und Synthese eines gewaltigen Rechtsstoffes mehrerer Sachgebiete, die heute unter dem Begriff Arbeitsrecht nur sehr unscharf von anderen Bereichen abgrenzbar sind. Diese gesetzgeberische Zusammenfassung eines differenzierten Rechtsstoffes in einheitlichen, planvoll gegliederten Gesetzbüchern ist in anderen Rechtsbereichen gerade in Österreich fn vorbildlicher Weise erfolgt. Im Bereich des Arbeitsrechtes, das heute in einer Unzahl von Gesetzen, Verordnungen, Satzungen, Kollektivverträgen enthalten ist, dessen Fortentwicklung mehr als die anderer Rechtsgebiete durch die Spruchpraxis der Gerichte bestimmt wird, stellten sich von Anfang an dem Plan einer Kodifikation ungleich größere Schwierigkeiten entgegen. Im Hinblick darauf, daß das Arbeitsrecht so uneinheitlich und in vieler Hinsicht noch in der Entwicklung begriffen ist, kann nur zum Teil auf Vorhandenes und Bewährtes zurückgegriffen werden; im Zeitpunkt der Entwicklung ist eine abschließende Beurteilung vielfach nicht möglich. Wie wichtig es aber ist, aei einer Kodifikation auf Bestehendes greifen zu können, haben bekannte iechtslehrer wiederholt ausgesprochen, so Friedrich von Savigny, wenn er feststellt, daß von den bisher gültigen üechtsquellen, wenn möglich durch wörtliche Aufnahme alles Anwendaaren, durch gründliches Erkennen und Durchdenken des vorhandenen Rechtsstoffes, die Voraussetzungen für eine :chte Kodifikation geschaffen werden nüßten. In letzter Hinsicht geht es allerdings nicht um die Alternative, Meues zu schaffen oder Altes aufzu- aehmen, sondern darum, zunächst zu arüfen, was sich bewährt hat und was nicht, also dort Neues zu schaffen, vo unzweckmäßige und unbrauchbare Bestimmungen vorhanden sind, wo die soziale Gerechtigkeit verletzt wird, ferner, wo Lücken auszufüllen sind.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

In den genannten „Bemerkungen“ :um Kodifikationsentwurf, der zur Zeit den Interessenvertretungen zur Stellungnahme vorliegt, weist das Sozialministerium darauf hin, daß die Kodifikation des Arbeitsrechtes ein alter Wunsch der österreichischen Arbeitnehmerschaft sei, daß diese Forderung schon auf dem 7. Gewerkschaftskongreß im Jahre 1913 aufgestellt worden sei. Diese alte Forderung wurde von den Bundeskongressen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes der Jahre 1955 und später wieder aufgegriffen. Auch die Bundesregierung hat sich zur Kodifikation in den Regierungserklärungen der Jahre 1956 und 1959 bekannt. Gegen eine Kodi fikation, die an Stelle der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit ein überschaubares und wirkliche Rechtssicherheit verbürgendes Normensystem bringt, hat wohl niemand etwas einzuwenden. Eine solche Kodifikation bringt nicht nur den Arbeitnehmern Vorteile, sondern auch den Arbeitgebern, die allzuoft sich in arbeitsrechtlichen Fragen an Spezialisten wenden müssen, komplizierte Prozesse in einigen Instanzen zu führen haben und immer wieder mit nicht voraussehbaren Kosten rechnen müssen.

Nicht Übersichtlichkeit, sondern Rechtssicherheit

Wenn als bedeutendster Vorteil einer Kodifikation des Arbeitsrechtes die Möglichkeit einer rascheren Orientierung hingestellt wurde, so ist Žum Unterschied voh anderen Rechtsgebieten benützen im Bereich des Arbeitsrechtes nicht nur Juristen die einzelnen Gesetzesausgaben, sondern auch viele nicht entsprechend juristisch vorgebildete Personen, wie insbesondere Betriebsräte, Lohnverrechner, Beisitzer beim Arbeitsgericht, Unternehmer. Die hohen Auflagen der arbeitsrechtlichen Gesetzesausgaben be weisen dies eindeutig. Da sich nun diese Personen gewöhnlich nur mit bestimmten Teilbereichen des Arbeitsrechtes befassen müssen, können sie sich in der Regel trotz der gegenwärtigen Zersplitterung des Rechtsstoffes relativ leicht in den einzelnen Sondergesetzen zurechtfinden. Das wäre nach der Kodifikation anders. In dem vorgelegten Teilentwurf sind etwa die Bestimmungen über den Mutterschutz, die heute in dem auch Laien verständlichen Mutterschutzgesetz zusammengefaßt sind, auf mehrere Abschnitte verstreut. Daraus zeigt sich deutlich, daß die Vorteile der Kodifikation nicht in erster Linie in einer Erleichterung der praktischen Anwendung des Gesetzes liegen; es geht vielmehr um etwas Wesentlicheres: Wie bei jeder Kodifikation muß die Gewährleistung einer höheren Rechtssicherheit das erstrangige Ziel der Zusammenfassung des Arbeitsrechtes in einem einheitlichen Gesetzesbuch bilden. Es war wieder Savigny, der als Ziel der Kodifikation eines Rechtsgebietes die „höchste Rechtsgewißheit“ und „damit die höchste Sicherheit gleichförmiger Anwendung" bezeichnet hat. Dieser Zielsetzung der erhöhten Rechtssicherheit müssen sich alle übrigen Zwecke, die außerdem mit der Kodifikation verbunden werden, unterordnen.

Es ist selbstverständlich, daß eine Kodifikation des Arbeitsrechtes nicht denkbar ist, ohne daß gewisse Verbesserungen der Rechtsstellung von Arbeitnehmern eingeführt werden. Man kann nicht „nach unten“ — nach den Verhältnissen der ungünstigsten Gruppe — vereinheitlichen, und eine Vereinheitlichung in gewissem Umfang muß die Kodifikation bringen. Hingegen ist es nicht möglich, im Rahmen einer Kodifikation dort zu vereinheitlichen, wo die Natur der Sache eine Differenzierung verlangt. In manchen Bereichen, wo heute noch zu große Divergenzen bestehen, muß erst eine Kodifikationsreife erreicht werden. Es zeigt sich, daß eine Kodifikation eines so zersplitterten Rechtsstoffes auf lange Sicht vorbereitet werden muß: Während die schwierigen legistischen Arbeiten durchgeführt werden, sollte der Gesetzgeber gewisse Teillösungen schaffen, wo heute noch sachlich ungerechtfertigte Differenzierungen bedeutenderer Art bestehen.

Keine Vorbilder

Ein Motiv der Kodifikation, auf das sich das Sozialministerium mit besonderem Nachdruck berufen hat, ist völlig fehl am Platz: der Vergleich mit den Gesamtkodifikationen des Arbeitsrechtes in anderen Ländern. Heute besitzen nahezu ausschließlich asiatische und lateinamerikanische Staaten ein kodifiziertes Arbeitsrecht, dazu noch einige Oststaaten; dies aber nicht deshalb, weil sie einen höheren Sozialstandard erreicht haben als Österreich und andere westeuropäische Länder, sondern weil sie bisher überhaupt kein oder kein nennenswertes Arbeitsrecht besessen hatten und nunmehr natürlich leicht die mehr oder minder in diesen Ländern fragwürdigen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen in einem Gesetz zusammengefaßt haben. Nicht weil Albanien und Afghanistan ein kodifiziertes Arbeitsrecht besitzen, braucht Österreich ebenfalls eine Kodifikation dieses Rechtsgebietes, sondern zur Erhöhung der Rechtssicherheit und zur Erzielung einer harmonischen Rechtsgestaltung in diesem in der industriellen Gesellschaft so wichtigen Rechtsbereich. Es steht außer Zweifel, daß unser sozialer Standard, die Rechtsstellung der Arbeitnehmer auch ohne Kodifikation bisher eindeutig besser war als etwa in Libyen, Thailand, Ungarn, Rumänien und wohl auch in der Sowjetunion, um nur einige Staaten mit einem kodifizierten Arbeitsrecht zu nennen. In Westeuropa sind wohl auch in einigen Ländern Kodifikationsbestrebungen vorhanden, wobei man aber mit großer Vorsicht ans Werk geht. Das Ziel der Kodifikation des Arbeitsrechtes wird um so leichter erreicht werden können, wenn die Rechtssicherheit im Vordergrund steht, und nicht irgendwelche machtpolitische Bestrebungen.

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