Johan Galtung (1930–2024) - Johan Galtung (1930–2024), norwegischer „Vater der Friedensforschung“, hatte am selben Tag Geburtstag wie die UNO. - © Niccolò Caranti (cc by-sa 3.0)

Johan Galtung (1930-2024): Ein Johan ohne Land, aber mit Friedensvision

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Nachruf auf Johan Galtung, den norwegischen „Vater der Friedensforschung“.

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Nachruf auf Johan Galtung, den norwegischen „Vater der Friedensforschung“.

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Der Titel, den Johan Galtung seiner Autobiografie gab, beschreibt seine Lebensphilosophie: „Johan ohne Land“ oder „Johan uten land“, wie das Buch auf Norwegisch heißt. Geboren am 24. Oktober 1930 in Oslo, am selben Tag, an dem 15 Jahre später die Vereinten Nationen gegründet wurden, blieb Galtung sein Leben lang ein „Niemandsland-Mensch“. Einer, der sich auf keine Seite schlug, sondern im Dazwischen blieb, ein Grenzgänger, der sein Lebenswerk darin sah, die Grenzen zwischen Menschen, Völkern, Nationen zu entminen, bevor sie zu Konfliktlinien werden und in kriegerischen Auseinandersetzungen explodieren.

Galtungs Berufungserlebnis zur Friedensforschung fand in den 1950ern in einer Bibliothek in Finnland statt. Er fragte die Bibliothekarin nach Friedensliteratur, sie fand nichts, rief in der Mutteruniversität im schwedischen Uppsala an und erhielt zur Antwort, man habe nur Bücher über die Kriegsforschung. Diese Leerstelle in der Forschung wollte Galtung von nun an füllen. „Hier, Johan, habe ich zu mir selbst gesagt, hast du deine Lebensaufgabe!“, beschrieb er diese Entscheidung. 1600 Bücher, von ihm geschrieben oder mit Beiträgen von ihm, stehen seither in den Bibliotheken auf der ganzen Welt, machen ihn, so wie seine Institutsgründungen, zum Vater der Friedensforschung.

Kriegsanalyse mit Arztaugen

Aufgewachsen in einer Arztfamilie, analysierte er Kriege mit den Augen eines Mediziners: So wie die Gesundheit ist auch Frieden kein Ereignis, sondern ein Prozess. Wie bei Gesundheit geht es um Diagnose, Prognose und Therapie. Die „Krankheit“, die es laut Galtung in Friedensprozessen zu heilen gilt, ist nicht nur die Gewalt, die ein Symptom ist, sondern die zugrundeliegenden Konflikte. Daran anschließend entwickelte er das Konzept des „positiven Friedens“, der Schaffung gerechter Verhältnisse, eines Friedens, der weit über das Schweigen der Waffen („negativer Friede“) hinausgeht.

„Was haben wir getan?“, sagte Galtung, der auch gerne Gast auf der Friedensburg Schlaining und Interviewpartner der FURCHE war, müsse am Anfang jeder Konfliktforschung stehen. Mit dieser Fragestellung löste er auch viel Kritik aus. Doch Galtung war weder Antiamerikaner noch Antisemit, Galtung war ein Pro-Friedens-Ermöglicher und folgte dem Gandhi-Wort: „Sei heute die Zukunft, die du gerne sehen möchtest.“ Am Samstag voriger Woche ist Johan ohne Land, aber mit Friedensvision 93-jährig verstorben.

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