Präsidentenschärpe statt Stola

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Fernando Lugo, Bischof von San Pedro in Paraguay, hat sein Kirchenamt zurückgelegt und kandidiert für das Präsidentenamt in Paraguay. Weil ihn die Menschen gebeten haben, ihrem Elend ein Ende zu bereiten.

Seit 61 Jahren regiert in Paraguay die konservative Colorado Partei. Nach den Wahlen am 20. April dieses Jahres soll das anders werden. Und der Mann, der für den überfälligen politischen Wechsel in Paraguay steht, ist der ehemalige katholische Bischof und Befreiungstheologe Fernando Lugo. "Paraguay hat im Ausland den Ruf von Korruption und Gesetzlosigkeit", sagt Lugo - mit ihm als Staatspräsidenten soll das anders werden. Der weltweit erste ehemalige katholische Bischof, der sich um das Amt eines Staatspräsidenten bewirbt, verspricht, der Nation Souveränität und Würde wiederzugeben. Lugo gibt sich gerne volksnah, besucht auch die kleinsten Dörfer und redet mit den Menschen in Guaraní - einer indigenen Sprache, die neben Spanisch Amtssprache ist und von mehr als der Hälfte der Einwohner Paraguays gesprochen wird. "Es gibt einen Notplan für die dringlichsten sozialen Probleme", wirbt Lugo für seine Politik. Dieser Notplan soll die Lage der Ärmsten innerhalb der nächsten zwei Jahre verbessern.

Lugo punktet mit Menschenfreundlichkeit und Idealismus. Eigenschaften, die offenbar die gegensätzlichsten Ideologien verbinden: Soziale Vereinigungen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Sozialisten, Kommunisten, landlose Bauern, bis hin zur rechts orientierten Radikalliberalen Partei sowie Abtrünnige der regierenden Colorado Partei haben sich zur "Patriotischen Allianz für den Wechsel" zusammengeschlossen und unterstützen die Kandidatur des politischen Quereinsteigers. Ideologisch positioniert sich Lugo "im Zentrum" und gibt zu, dass er "inmitten des ideologischen Gewitters" steht. Lugo ist zwar formal Mitglied der Christdemokraten, betont aber, dass er nicht für diese wahlkämpfe, er will vielmehr ein "Präsident für alle" sein.

"Pastoral ist zuwenig!"

Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen, in einer Familie, die in Opposition zum diktatorischen Terrorregime des deutschstämmigen Alfredo Stroessner stand, ist der heute 56-jährige Fernando Lugo von Kindheit an mit Armut und mit politischem Widerstand konfrontiert. Nach dem Theologiestudium wird er 1977 zum Priester geweiht, es folgen Auslandsaufenthalte als Steyler Missionar in Ecuador und zu Studienzwecken in Rom. Als Bischof in San Pedro, einer der ärmsten Regionen des Landes, erkennt er, dass die "pastorale Arbeit nicht ausreicht, um den Menschen ihre Würde wiederzugeben". Ausschlaggebend für seine Entscheidung, das Bischofsamt zurückzulegen, ist seine Einsicht, dass er nur als Politiker die sozialen Verhältnisse in Paraguay nachhaltig ändern kann. Außerdem treten viele mit der Bitte an ihn heran, für das Präsidentenamt zu kandieren. "Dieser Bitte konnte ich mich angesichts des Elends nicht entziehen", sagt Lugo.

Armenhaus Paraguay

Dem Elend begegnet man im touristisch wenig besuchten Paraguay ständig: 100 Meter hinter dem modernen Justizpalast beginnen die Armenviertel am Rio Paraguay. Über 40 Prozent der Einwohner leben in extremer Armut. Im 19. Jahrhundert noch wirtschaftlich autark, schlitterte Paraguay, das bis 1811 spanische Kolonie war, nach der verheerenden Niederlage im "Triple Alianza Krieg" (1862 -1870) gegen Argentinien, Brasilien und Uruguay in den Ruin. Nur ein Siebtel der Bevölkerung, etwa 220.000 Menschen, davon 28.000 Männer, überlebte. Die Bevölkerung ist inzwischen wieder auf rund sechs Millionen Einwohner angewachsen, aber die Wirtschaft ist nach wie vor schlecht entwickelt. Aus diesem Grund ist auch die Emigrationsrate hoch. Schätzungsweise 2,5 Millionen Paraguayer leben in Argentinien, Brasilien und Spanien.

Der wichtigste Wirtschaftssektor Paraguays ist die Landwirtschaft, vor allem der Sojaanbau von meist brasilianischen Großgrundbetrieben. Paraguay ist der viertgrößte Sojaexporteur der Welt. Aufgrund der Latifundienwirtschaft besitzen viele Menschen in Paraguay jedoch kein eigenes Land und es fehlt ihnen die Möglichkeit der Eigenversorgung. Eines der wichtigsten Ziele von Präsidentschaftskandidat Lugo ist daher die Umsetzung der Agrarreform. Für diese Landreform soll ein nationaler Kataster, der bis dato nicht existiert, eingerichtet werden. Lugo arbeitet an einem Konsens zwischen allen Beteiligten, sowohl mit den Großgrundbesitzern als auch mit den landlosen Bauern und Landarbeitern, denen die Reform zugutekommen soll. Lugos Ziel ist eine Reform "ohne traumatische Wunden und ohne Gewalt". Aber in Anbetracht des derzeitigen Kampfes um Land und Rechte zwischen den ungleichen Beteiligten, der immer wieder Verletzte und Tote fordert, und den zahlreichen in dieser Sache anhängigen Gerichtsverfahren, scheinen Lugos Vorstellungen sehr schwer realisierbar. Den Existenzkampf der Campesinos, wie die Kleinbauern genannt werden, unterstützte Lugo bereits als Bischof. In diesem Kampf für eine gerechtere Verteilung von Land und Ressourcen stieß er damals schon an die Grenzen des Klientelnetzwerks der herrschenden Colorado Partei.

Vom Nachbarn übertölpelt

Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig Paraguays ist die Hydroenergie. Itaipú, eines der größten Wasserkraftwerke der Welt, wird als brasilianisch-paraguayisches Gemeinschaftsprojekt betrieben, liefert Paraguay jedoch keinen angemessenen Gewinn. Ein Großteil der überschüssigen Energie wird an Brasilien zu einem Niedrigstpreis verkauft, was auf einen Vertrag aus Zeiten der Diktatur Stroessners zurückzuführen ist. Für Kritiker dieses Vertrags ist klar, dass dabei vor allem korrupte Politiker profitiert haben. Die Neuverhandlung des Itaipú-Vertrages gehört daher zu den wichtigsten Vorhaben Lugos, um den Staatshaushalt aufzubessern. "Paraguay soll seine Souveränität und Würde wiedererlangen", sagt Lugo, "das gilt auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen."

Die Zeit der 1989 zu Ende gegangenen Diktatur wirkt in Paraguays Wirtschaft und Gesellschaft nach wie vor fort. Noch immer leiden viele Opfer an den traumatischen Wunden der Folterungen in den Konzentrationslagern des Regimes. Die meisten Verbrechen von Diktator Stroessner, der 2006 im brasilianischen Exil verstorben ist, und seiner Handlanger blieben ungesühnt. Nach wie vor arbeiten in Militär, Justiz und Verwaltung Paraguays Diener und Günstlinge dieses menschenverachtenden Systems. "Paraguay soll ein seriöses Land werden mit einer pluralistischen und vor allem demokratischen Gesellschaft", definiert Lugo in Anbetracht dessen seine innenpolitischen Ziele. "Wichtig ist aber auch, dass die Justiz endlich unabhängig wird. Derzeit ist sie in Händen der herrschenden Klasse, der Politik und der wirtschaftlichen Macht."

Kritik aus dem Vatikan

Im Dezember 2006 übermittelte Lugo dem Vatikan seine Entscheidung, das Priesteramt zurückzulegen und bat, seinen Amtsverzicht zu akzeptieren. Der Vatikan hat diesem Ansuchen nicht stattgegeben, sondern Lugo vom Priesteramt suspendiert. Einen Konflikt mit dem Vatikan sieht Lugo deswegen nicht. "Mit der Zurücklegung meiner kirchlichen Rechte bekam ich all meine Rechte als Staatsbürger zurück, sowohl die zivilen als auch die ökonomischen Rechte." Pressemeldungen über eine kritische Haltung des Vatikans zu seiner Kandidatur kommentiert er: "Der Vatikan ist eine andere Sache. Was mich interessiert, ist die nationale Verfassung. Diese kommt für mich zuerst und garantiert mir meine Kandidatur." Lugo fühlt sich nach wie vor als vollwertiges Mitglied der kirchlichen Gemeinschaft und besucht jeden Sonntag die Messe.

Der Wahlkampf wird in der Endphase härter. Lugo wird immer öfter persönlich attackiert und ist mit Attentatsdrohungen konfrontiert. Die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Kandidaten wurden verstärkt, trotzdem musste Mitte März eine Wahlveranstaltung aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Fernando Lugo nimmt ein hohes persönliches Risiko in Kauf. Auch mit ein Grund, dass er in den Meinungsumfragen im Rennen um das Präsidentenamt klar voranliegt. Ob es nur an der Bevölkerung Paraguays liegt, die politische Wende herbeizuführen, ist jedoch unklar. Sprecher der "Patriotische Allianz für den Wechsel" befürchten jedenfalls Wahlmanipulationen und verlangen ausländische Wahlbeobachter. Die Chance oder das Risiko - je nachdem, von welcher Warte aus man es betrachtet - auf eine politische Veränderung im Land war jedoch noch nie so realistisch wie mit der Person Fernando Lugo als Präsidentschaftskandidaten.

Die Autorin ist Juristin und Autorin und führte bei ihren Recherchen zur politischen Situation in Paraguay im Jänner 2008 ein Gespräch mit Fernando Lugo.

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