Der Seelenhirte von Paraguay

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Der Ex-Bischof und jetzige Präsident Fernando Lugo besitzt nach 100 Tagen im Amt viel Zustimmung und wenig Macht, schreibt „Le monde diplomatique“.

Fernando Lugo sagte das Offensichtliche: „Weder bin ich der Messias noch Batman.“ Aber mindestens eines von beiden müsste er sein, wollte er erfüllen, was von ihm erwartet wird. Als er im April zum Präsidenten von Paraguay gewählt wurde, tanzte das Volk auf der Straße. Bis zuletzt hatte niemand zu glauben gewagt, dass sich die Hoffnung gegen die Angst durchsetzen würde.

Dann war die 61 Jahre währende Herrschaft der autoritären und korrupten Colorado-Partei, davon allein 36 Jahre unter dem Diktator Alfredo Stroessner, vorüber. Fernando Lugo, der Bischof der Armen, hatte es geschafft. Die Landkarte Lateinamerikas färbt sich rot. So stand es schaudernd oder triumphierend in den internationalen Kommentaren.

Für die Mehrheit der Menschen in Paraguay stand seine Wahl für: Es wird endlich besser. Ihr Land ist eines der ärmsten Lateinamerikas. Und eines der ungerechtesten. Nur noch in Brasilien und Guatemala ist das Einkommen ungleicher verteilt, und von weltweit 133 erfassten Ländern haben fünf noch korruptere Eliten. Wasserversorgung und Schulbildung sind Privilegien einer Minderheit, und die Konzentration von 80 Prozent des Landbesitzes in den Händen von 2,5 Prozent der Bevölkerung treibt 90.000 Bauern und Bäuerinnen jährlich vom Land in die Stadt und viele von dort weiter als Illegale ins Ausland, allein 2007 waren das zirka 400.000 Menschen.

Die Hoffnungen sind ins Unermessliche gestiegen

Als Bischof ergriff Lugo stets für die Armen Partei. Dann wurde er zum Politiker ohne Partei. Hinter ihm versammelten sich alle, die genug hatten von der Herrschaft der Colorados. Dass sie zur Mehrheit wurden, erstaunt immer noch angesichts der Pfründen, Jobs, Gelder und Familienbande, die diese Herrschaft zusammenhielt. […] Lugos Wahl ins höchste Staatsamt hat die Hoffnungen der bañados, der Landlosen, Bauern, Indigenen und Gewerkschaften ins Unermessliche wachsen lassen. In Windeseile schlossen sich hunderte ihrer Organisationen gleich nach seiner Wahl zur Sozialen und Populären Front (FSP) zusammen. Sie erarbeiteten Vorschläge für zentrale Themen des Landes und schlugen Personen für Regierungsämter vor. Wichtigstes Ergebnis ist ein Notplan zum Schutz der Familienlandwirtschaft. Doch wer ist ihr Ansprechpartner? Lugo hat keine Partei, kein Parlament, keinen Apparat. Alles hängt immer nur von ihm ab. Sein politisches Projekt kennt keiner genau. In seinem Kabinett hat er die Linke gestärkt. Doch die Mehrheit der Posten besetzen die Liberalen. […]

Viel klarer ist das Panorama auch nach den 100 Amtstagen nicht. So weit es die von den Colorados geplünderten Kassen zuließen, hat Lugo die Ausgaben für Sozialprogramme erhöht. Vor allem die jetzt weitgehend kostenlosen Behandlungen in den Krankenhäusern sind ein spürbarer Fortschritt. Und er hat alle Staatsangestellten entlassen, die ein Gehalt kassierten, ohne bei der Arbeit zu erscheinen. Doch damit ist die Frage nach seinen zentralen Wahlversprechen nicht beantwortet. Das wichtigste davon war die Agrarreform. Dazu hat die Regierung kein Programm präsentiert und widersprüchliche Signale ausgesandt. Mittlerweile alarmiert das sowohl die Bauern als auch die Großgrundbesitzer. […]

Deshalb haben die Großgrundbesitzer und Sojaproduzenten ihrerseits zu einer großen Demonstration am 15. und 16. Dezember geblasen. Einer der zurzeit wohl meistgebrauchten Sätze Paraguays lautet: Bald muss sich Lugo entscheiden, auf wessen Seite er steht. Lugo selbst scheinen seine Ziele weniger unklar zu sein als der Weg, der dorthin führt. So jedenfalls lautet sein Fazit nach 100 Tagen an der Regierung: „Der Ersatz des Neoliberalismus durch ein neues Modell ist voller Hindernisse.“

„Le monde diplomatique“, 12. Dezember 2008

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