Zerschossene Beine sind kein Asylgrund

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Khan Waheed, ehemaliger Generalsekretär der Pakistanischen Volkspartei von Kahuta, hat sich psychisch und physisch versehrt nach Österreich geflüchtet. Sein Asylantrag wird nun in zweiter Instanz geprüft. Khan kann neue, aus Pakistan eingetroffene Beweise vorlegen. Glück für ihn, dass die kolportierten, verschärften Asylrichtlinien von Schwarz-Blau noch nicht gelten. Denn sein Verfahren lässt sich weder in 72 Stunden, noch ohne die Nachreichung von Beweisen erledigen.

Khan Waheed spielt Schach. Die Spielregeln erinnern an sein eigenes Leben: Früher hat er einmal in einer Reihe mit Turm und Pferd und Läufer gestanden, ganz nahe bei Dame und König gespielt. Dann ist er zum Bauernopfer geworden, war schließlich ganz aus dem Spiel und hofft jetzt wieder, in eine andere, für ihn bessere Partie zurückkehren zu dürfen. Aber sein Blick verrät: Schach ist ein ernstes Spiel.

Ausgerechnet am Tag seines größten politischen Erfolges hat für den Generalsekretär der Pakistanischen Volkspartei (Pakistan People's Party) von Kahuta, 40 Kilometer östlich von Islamabad, die Katastrophe begonnen. Waheeds Partei konnte an diesem Tag im Jahr 1998 einen fulminanten Wahlsieg einfahren. Doch die Freude darüber dauerte nur kurz. Noch während die Feier des Wahltriumphes andauerte, erstürmten Anhänger des politischen Gegners, der Pakistan Muslim League, den Festssaal und eröffneten das Feuer. Waheed, daran kann er sich heute noch erinnern, war einer der ersten, die zu Boden gingen. Dann weiß er nichts mehr, bis er im Spital von Kahuta nach einer lebensrettenden Operation wieder zu sich gekommen ist.

Ein Jahr Krankenhaus

Khan Waheed humpelt, wie er mit einem Häferl Kaffee an den Tisch zurückkehrt. Auf seinem ärztlichen Befund steht: "Zustand nach Schussfraktur im Bereich beider Oberschenkel; bewegungsbehindernder Zustand nach Schussfraktur des linken Beckenbereiches und vom linken Brustkorb bis zum Rücken reichende Narbe - wahrscheinlich von einem Machetenhieb". Zwei weitere Operationen muss der Politiker über sich ergehen lassen. Als er nach einem Jahr Krankenhausaufenthalt entlassen wird, ist aber nicht nur sein Körper invalid und geschwächt, auch Waheeds Position in seiner eigenen Partei ist übers Jahr eine andere geworden, hat sich von der des erfolgreichen Parteimanagers in die des Verräters gewandelt.

Was Waheed im Folgenden schildert, klingt nach üblem parteiinternen Intrigenspiel, wie es nicht nur in Pakistan vorkommen könnte. Ehemalige Gefährten, erinnert er sich, hätten ihn verunglimpft, seine Gegner offene Rechnungen beglichen. Der Ex-Generalsekretär landete schließlich im Gefängnis und wurde gefoltert. Er sollte seine angebliche Mittäterschaft an jenem Anschlag zugeben, dem er selbst zum Opfer gefallen war.

Gefängnis, Versteck, Flucht

Stirnrunzeln beim Gegenüber des Flüchtlings. "In Pakistan hat ein menschliches Leben keinen Wert", entkräftigt dieser sogleich jeden Zweifel an der Logik seiner Geschichte und fügt hinzu: "Einer muss immer der Schuldige sein, dieses Mal war eben ich dran."

Sein Vater kann ihn nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen aus dem Gefängnis holen, berichtet Waheed die weitere Etappe seiner Tragödie. Die nächsten zwei Jahre lebt er versteckt bei einem Onkel in Karachi, wird aber entdeckt, wieder droht Gefängnis - da tauchen 10.000 Dollar auf: "To get me out", damit "ich so schnell wie möglich aus dem Land verschwinde". In knapp drei Wochen bringen ihn Schlepper zuerst per Flugzeug in die Türkei und mit einem "Lastwagen voller Leute" weiter in die Slowakei. Von dort versucht er die Grenze nach Österreich zu überschreiten.

Die ersten drei, vier Versuche scheitern. "Ich frage nach Asyl", schildert Waheed seine Gespräche mit den Grenzposten. Die schicken ihn trotzdem zurück. Schriftliche Begründung: "Sie sind am 9. Juli 2002 unter Umgehung der Grenzkontrolle illegal und im Boot eines Schleppers über die March von der Slowakei in das Bundesgebiet von Österreich eingereist. Sie haben das Grenzkontrollgesetz missachtet." Zur Strafe wird der Asylsuchende gleich an der Grenze mit einem von der BH-Gänserndorf unterzeichneten Aufenthaltsverbot bis zum 8. Juli 2007 abgemahnt und retour geschickt. So lange kann Waheed nicht warten. Die Schlepper beweisen ihre Professionalität, zeigen ihm einen Grenzposten, wo sein Asylantrag eher Gehör findet. Und diesmal gelingt der Grenzübertritt. "Nr. 26 ist mein Name, mit dem ich nach Österreich gekommen bin", scherzt der Pakistani, das erste Mal in diesem Gespräch. Schach ist ein ernster Spiel.

Nachdem Waheed bereits an der Grenze mit der österreichischen Bürokratie in Kontakt gekommen ist, muss der ehemalige pakistanische Politiker im Land selber nach und nach erfahren, was die hiesige Politik von seinesgleichen hält. Nicht viel, denn sonst wäre es nicht möglich, dass nur private Hilfsorganisationen, nicht aber staatliche Betreuungseinrichtungen dem Flüchtling rechtliche Beratung und Quartier zukommen lassen. Ein Trend, der sich nicht nur am Schicksal von Khan Waheed wiederspiegelt, erklärt Stefan Wallner, Generalsekretär der Caritas: Während die mit Spendengeldern finanzierten Betreuungseinrichtungen der Caritas und anderer Hilfsorganisationen derzeit wegen Überbelegung aus allen Nähten platzen, leeren sich die vom Bund geführten Flüchtlingsunterkünfte. Auch eine Form, wie sich der Staat aus seiner Verantwortung stehlen kann und damit Kosten an die gegenüber dem Flüchtlingselend noch nicht völlig abgestumpfte Öffentlichkeit auslagert.

120 Euro im Monat stehen Khan Waheed, der derzeit in einem Notquartier des Roten Kreuzes Unterschlupf gefunden hat, für Lebensmittel und sonstigen Lebensaufwand zur Verfügung. Zweimal in der Woche kommt er in das Gassenlokal von SOS Mitmensch in der Wiener Zollergasse. Nicht nur um Schach zu spielen, auch um sich nach einer Arbeit zu erkundigen, weiß Philipp Sonderegger, SOS-Mitmensch-Sprecher. Waheed dürfte theoretisch sogar eine Arbeit annehmen. Nur kommen alle anderen Kategorien - von Inländern über Migranten bis zu den Asylwerbern, insgesamt neun Stufen - vor ihm dran. Was dann noch übrigbleibt, ist nicht viel und das nicht nur bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation.

2. Instanz: neue Beweise

In erster Instanz wurde Waheeds Asylantrag abgelehnt. In der Geschichte des Pakistanis glaubte man, Widersprüche zu entdecken: "Seine Schutzbehauptungen können geglaubt werden oder auch nicht", hieß es. Trotz Fristversäumnis wurde aber erst kürzlich einer Wiedereinreichung des Antrags stattgegeben. Die zweite Instanz wird jetzt erneut Waheeds Asylwürdigkeit prüfen. Und dieser kann neue Beweise, die seine Fluchtgründe aus Pakistan untermauern, vorlegen: Stolz zieht er zwei Faxe aus seiner Dokumentenmappe, die er während des ganzen Gesprächs wie ein Baby an seine Brust gehalten hat. Ein Schreiben zeigt den Parteiausweis des ExPolitikers, das zweite Blatt die Bestätigung des Arztes, der Waheed im "Al Shabaz Medical Complex Hospital Kahuta" nach dem Schussattentat operiert hat.

Glück für Waheed, dass die kolportierten, verschärften Asylrichtlinien von Schwarz-Blau noch nicht umgesetzt worden sind. Vom UN-Flüchtlingshochkommissariat und anderen Menschenrechts- und Hilfsorganisationen scharf kritisiert, sollen nämlich in Zukunft Fluchtgründe nur mehr in erster Instanz angegeben werden können. Für die zweite Instanz gelte dann ein "Neuerungsverbot", heißt es. Das würde bedeuten, dass diese Instanz die Asylanträge nur mehr einer formalen Prüfung unterziehen könne. Beweise, die später auftauchen, so wie im Falle Waheed, blieben dann aber unberücksichtigt.

2. Instanz: keine Beweise

"Durch diese Änderungen", klagt Philipp Sonderegger, "hätte eine Person wie Khan Waheed keine Möglichkeit mehr, seine Geschichte glaubwürdig zu begründen." Aber wahrscheinlich hätte schon eine andere Verschärfung in der Asylgangart den Pakistani aus dem Rennen um eine Zuflucht in Österreich geworfen. Geplant sei, warnen die genannten NGOs, dass in Zukunft innerhalb von 72 Stunden der Status des Flüchtlings geklärt sein muss. Können in dieser Zeit keine Fluchtgründe glaubhaft gemacht werden, muss der oder die Asylsuchende zurück. Stefan Wallner warnt in diesem Zusammenhang vor Kettenabschiebungen, mit denen Asylsuchende von einem Land in das nächste weitergereicht werden.

Die Länge der Asylverfahren in Österreich muss verkürzt werden - darin sind sich Regierungspolitiker und Vertreter von Flüchtlingsorganisationen einig. Dass das ohne ausreichende Personalaufstockung und im Husch-Pfusch-Verfahren gehen kann, glaubt aber nur die eine Seite. Die andere Seite weiß, dass Flüchtlinge oft traumatisiert die Grenzen überschreiten und ihre Betreuung Personal und Zeit braucht. Denn das unterscheidet einen Rechtstaat von anderen Ländern. Von jenen Ländern, in denen ein Menschenleben nicht viel zählt und in denen man von einem Tag auf den anderen zum Bauernopfer werden kann. Nicht nur Schach ist ein ernstes Spiel.

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