Oswald Wiener - © Foto: APA/INGRID WIENER

Oswald Wiener: Schnittstellendenker mit prophetischem Werk

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Wie ein Roman mutet sein Leben an. Oder sollte man besser sagen, es scheinen da gleich mehrere Biographien in einer Gestalt zusammengekommen zu sein. Autor, Musiker und Querdenker, Abteilungsleiter beim Büromaschinenkonzern Olivetti, Szenewirt in Berlin, ausgedehnte Reisen, Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf, et cetera.

Angefangen hat das schon bei der Studienwahl: Rechts- und Musikwissenschaft, afrikanische Sprachen und Mathematik studierte Oswald Wiener im Wien der 1950er Jahre. Als Jazzmusiker schunkelte er in verrauchten Lokalen; parallel dazu wurde er als Mitglied der legendären "Wiener Gruppe" bekannt, jenem trinkfesten Künstlerkollektiv, das heute als frühes Feuerwerk einer radikalen Avantgarde in Europa nach 1945 gewürdigt wird. An der Seite von H.C. Artmann, Friedrich Achleitner, Konrad Bayer und Gerhard Rühm verlegte sich der "Ossi" vor allem auf die Theoriearbeit - und die fragte bereits früh nach dem Verhältnis von Sprache, Welt und Wahrnehmung.

"Sprachphilosophie hat immer den Inhalt meines Denkens ausgemacht, meines ganzen Interesses", sagt der Tausendsassa. Die Initialzündung war die Lektüre von Wittgensteins "Tractatus logicophilosophicus", den der 20-Jährige in einem Antiquariat entwendet hatte. Aber auch die damals aufkeimende Kybernetik und Informatik sog Wiener wie wild in seine Gedankenwelt auf. Was aus dieser genialisch-wirren Welt in gedruckte Buchseiten geronnen ist, sorgt im Avantgarde-Klassiker "die verbesserung von mitteleuropa"(1969) bis heute für Aufsehen.

Prägende Themen des Computer-Zeitalters sind in dem heterogenen Textgeflecht vorweggenommen: Cyborgs und künstliche Intelligenz, das Internet und virtuelle Realitäten. Im Konzept des "bioadapters" beschrieb Wiener die Fusion von Mensch und Maschine als modernes Glücksversprechen, das nun, in Zeiten der "Google Glasses" und 3D-Elektronik, konkrete Formen angenommen hat. Der Idee der Mensch-Maschine hat der Schnittstellendenker jedoch die Methode der experimentellen Selbstbeobachtung gegenübergestellt; auch damit hat er aktuelle Entwicklungen antizipiert.

Angesichts des fast magischen Rufs, den sein prophetisches Werk verströmt, begeben sich manche Zeitgenossen sogar auf die Spuren des Autors. Der lebt seit langem zurückgezogen auf einem kleinen Berg, in einem steirischen Dorf nahe der Grenze zu Ungarn und Slowenien. Am 5. Oktober feiert er nun seinen 80. Geburtstag - und blickt auf viele Leben zurück.

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