Befehl war nicht gleich Befehl

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Was ist der Unterschied zwischen Josef Sibille, Hermann Kuhls und Friedrich Nöll? Zwei von ihnen waren Lehrer, zwei Mitglieder der NSDAP, alle drei Offiziere der Deutschen Wehrmacht und alle drei erhielten Anfang Oktober 1941 denselben Befehl: die gesamte jüdische Bevölkerung im jeweiligen Quartiersort zu erschießen.

Mit der Darstellung dieses Falles endet die umgestaltete Wehrmachtsausstellung, die derzeit nach rund sechs Jahren wieder in Wien zu sehen ist. Die Reaktionen auf die Ausstellung spiegeln wieder, was sich seit den neunziger Jahren geändert hat.

In Deutschland gab es den endgültigen Abschied von den Nachkriegsparolen. Nie wieder Krieg!, so hieß es, heute stehen deutsche Soldaten in Afghanistan. In Österreich hat der Kanzler launig die Neutralität und militärische Bündnisfreiheit mit Mozartkugeln und Lippizanern zu den Nippes gestellt. Die aktuelle Situation im Nahen Osten beeinflusst, welche Bündnisse zur Demonstration gegen den geplanten Neonaziaufmarsch am kommenden Samstag in Wien möglich sind.

Wenn die aktuellen Fragen derart brennend sind, was bringt dann die Arbeit an der Vergangenheit? Jan Assmann, der Heidelberger Ägyptologe, hat in einem brillanten Essay die These aufgestellt, dass eine Gesellschaft ein "kulturelles Gedächtnis" braucht. Im kulturellen Gedächtnis wird die gemeinsame Vergangenheit, die geteilte Gegenwart und die erwartete Zukunft festgelegt. In Bezug auf die gemeinsame Vergangenheit spielen die Erkenntnisse aus der Wehrmachtsausstellung eine besondere und notwendige Rolle: Durch die Fokussierung auf die Wehrmacht ist auch das Gedächtnis fast jeder Familie betroffen, es wird deutlich, was zu Hause erzählt oder verschwiegen wurde und wird.

Zurück zum Anfang. Alle drei Männer erhielten denselben Befehl. Aber jeder verhielt sich anders. Einer befolgte ihn sofort, einer erst nach eingehender Rückfrage, einer gar nicht. Befehl war nicht gleich Befehl. Es gab individuelle Handlungsspielräume. Wer hat wie gehandelt? Das verrät die Ausstellung. Aber warum haben sie so gehandelt? Zur Antwort auf diese Frage ist die persönliche Auseinandersetzung gefordert.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich.

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