Wehrmachtsausstellung, die II.

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In Berlin wird die umstrittene Schau in einer überarbeiteten Form gezeigt, bevor sie auf die Reise durch Österreich und Deutschland geht. Die Reaktionen sind durchwegs positiv (siehe auch Seite 23).

An einem jener ungeliebten Werktage zwischen Weihnachten und Neujahr drängen sich die Besucher auf den drei Etagen der Ausstellung. Ein unerwarteter Anblick. "Bis zu 1.500 kommen am Wochenende, unter der Woche sind es rund 1.000 Besucher täglich", sagt eine der Verantwortlichen der "Kunstwerke", einem Haus für zeitgenössische Kunst in der - ehemals Ostberliner - Auguststraße, dem ersten Ausstellungsort der runderneuertenWehrmachtsausstellung. Die erste Schau, die in 33 Städten Deutschlands und Österreichs gezeigt wurde, sollen 800.000 Menschen gesehen haben.

Vor dem Gebäude gibt es keinen Hinweis darauf, dass drinnen "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941- 1944" zu sehen ist, jene heiß diskutierte Schau des Hamburger Instituts für Sozialforschung, der der Professor und Industriellensohn Jan Philipp Reemtsma vorsteht. Nur ein Polizist hält am Eingang Wache. "Warum stehen Sie hier?", will eine Frau wissen. "Gute Frage", antwortet dieser und atmet, nach einer griffigen Erklärung suchend, tief durch.

Am 1. Dezember haben die rechtsextreme NPD und deren Gesinnungsgenossen in der Nähe einen großen Demonstrationszug veranstaltet, Gegendemonstranten haben sich mit der Polizei, einen Häuserblock von der Ausstellung entfernt, just vor der jüdischen Synagoge Scharmützel geliefert. Bis zum 13. Jänner 2002 läuft die Ausstellung noch in Berlin und begibt sich dann auf Weiterreise, auch nach Österreich.

Auch die zweite Auflage der Ausstellung, die den Nimbus einer "sauberen Wehrmacht", insbesondere in Ost- und Südosteuropa, zerstört, ist umstritten. Die erste war im Oktober 1999 nach Vorwürfen falscher Zuordnung von Fotos und Bildlegenden zurückgezogen, der Prüfung einer Historikerkommission unterzogen und neu überarbeitet worden. Die geistigen Schützengräben werden aber weiter verteidigt, wie eine im ARD-Fernsehen Anfang Dezember ausgestrahlte Reportage zu dem Thema zeigte. Da geifert ein NPD-Demonstrant: "Mein Großvater war kein Verbrecher!", dort hält ein Kriegsveteran weiterhin am Ehrenkodex der Wehrmacht fest. Ein Historiker erklärt hingegen, dass es keine Strafen gegeben hätte, wenn man sich verbrecherischen Befehlen widersetzte. Und der heute 79-jährige Ludwig Baumann, ein Deserteur der Wehrmacht, erklärt, er sei weggelaufen, weil er die Verbrechen nicht habe mitmachen wollen. Deserteure würden allerdings in Deutschland bis heute als vorbestraft gelten.

Der hochdekorierte Johannes Bsczewski ist einer der wenigen, deren Denken sich offenbar nach dem Besuch der Ausstellung verändert hat: Erst sagt der alte Mann, der als Wehrmachtssoldat einst mehrere russische Zivilisten gerettet hat, in die Kamera, er habe in seinem Befehlsbereich nie einschreiten müssen, er glaube, die Wehrmacht sei sauber geblieben. In einer späteren Einstellung gibt Barczewski zu, die Beweise seien erdrückend: "Wenn das passiert ist, kann ich nur mein tiefstes Bedauern aussprechen und meine Erschütterung ..." Dann versagt ihm die Stimme.

Untaten der Väter

In der Ausstellung selbst herrscht gedämpfte Stimmung vor. Ab und zu kräht ein Kind, zumeist stehen die Menschen in sich versunken vor den großen Fototafeln und Textwänden, oder sie sitzen in Glaskanzeln und lesen in den aufgelegten Dokumenten. Man sucht nach verschwiegen gehaltenen Untaten von Vätern und Großvätern: Wie ein Stasiarchiv öffnet sich hier eine zwar geahnte, aber nie gelehrt wordene Wahrheit.

Schwarz-Weiß-Fotos hängen an nüchtern hellen Wänden, eine knappe und nicht polemische Sprache darunter erklärt. In sechs "Anklagepunkten" wird das Unsaubere der Wehrmacht sauber aufgeteilt: Der Völkermord an den sowjetischen Juden, das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, der Ernährungskrieg, Deportation und Zwangsarbeit, der Partisanenkrieg sowie Repressalien und Geiselerschießungen. Zum Schluss wird anhand von Einzelfällen der mögliche Handlungsspielraum von Wehrmachtangehörigen dargestellt, das Aufarbeiten nach dem Krieg und die Diskussion rund um die erste Wehrmachtsausstellung.

Einer ihrer schärfsten Kritiker war der Historiker Bogdan Musial. Er sprach damals von "falschen Bildern". In einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt er dieser Tage: "Die Manipulation war überflüssig. Auch die neue Wehrmachtsausstellung ist nicht fehlerfrei, wird es Kritikern aber schwer machen." Zwar erinnere sie durch bestimmte Begleitumstände, wie die NPD-Demonstration, an die alte Ausstellung. "Sonst ist sie in jeder Hinsicht anders", gibt Musial in der FAZ zu. "Man sieht ihr an, dass die Autoren professionell gearbeitet haben und sich bemühten, den angeschlagenen Ruf des Hamburger Instituts für Sozialforschung wiederherzustellen. Und das ist ihnen auch gelungen."

"Die Welt" schreibt: "Mit der neuen Ausstellung reklamiert die Wissenschaft den Vorrang vor der Vergangenheitsbewältigung. Sie hat gute Chancen, das letzte Wort zu behalten." Die "Thüringer Allgemeine" hält die Wehrmachtsausstellung für anstrengend in ihrem analytischen Herangehen, in der Akribie ihrer Beweisführung, zumal sie doppelt so umfangreich sei wie die erste. Denn: "Sie will keinen Fehler mehr machen, der es wieder erlauben würde, die verbrecherische Kriegsführung im Osten generell in Frage zu stellen."

Unter dem Titel "Von strenger Sachlichkeit" schreibt die "Zeit": "Die List der Vernunft geht manchmal seltsame Umwege." Es zeige sich nun, dass die Fundamentalkritiker des ganzen Unternehmens, in ihrem Bestreben, dieses zu Fall zu bringen, einen Pyrrhussieg errungen hätten: "Selbst verbohrteste Verteidiger der Wehrmacht werden durch die neue Schau buchstäblich entwaffnet." Skeptisch zeigt sich der "Zeit"-Autor lediglich, ob nun eine neue Phase deutscher Geschichtspolitik eingeläutet werde. Die links-grüne "taz" schreibt: "Das Hässliche wird aufs Schönste gezeigt." Nur "Die Woche" lässt einen Geschichtsprofessor der Berliner Freien Universität etwas von "unentschuldbaren Versäumnissen" kritisieren und fragt: "War die alte doch besser?" Die Auswahl sei legitim, sagt der Ordinarius. "Das Weglassen wichtiger Dinge jedoch nicht." So sei der Völkermord an Sinti und Roma mit keinem Wort erwähnt worden.

Die Meinung der Besucher hingegen ist zu etwa 80 Prozent zustimmend: "Die Ausstellung hat mir viele neue und schlimme Eindrücke vermittelt", sagt etwa ein junges Mädchen. Auch ein junger Mann zeigt sich beeindruckt: "Vieles, was meine Großeltern erzählten, finde ich hier bestätigt."

Warum so spät?

Am Ausgang der Schau in Berlin liegt ein Buch auf: "Eine Fülle von Verbrechen - entsetzlich. Warum diese Ausstellung so spät?", hat dort jemand eingetragen. Ein anderer meint: "Jeder wäre ,unter Umständen' in der Lage, die gleichen Taten zu begehen." Oder: "Seriosität, Differenziertheit und vorsichtige Urteilsbildung sind sehr beeindruckend."

Aber auch das altbekannte Aufrechnen von Untaten lässt nicht auf sich warten: "Wo ist die Ausstellung der Völkermorde an Indianern, Schwarzen, Vietnamesen, Japanern? Wie heißen die Väter?", notiert jemand im Buch. Ein Besucher aus Quedlinburg moniert, auch die Verbrechen anderer Kriegsteilnehmer zu zeigen, etwa Bilder von Nagasaki, Dresden und Rotterdam.

Ein Besucher schreibt: "Sprachlosigkeit angesichts hunderter junger Nazis in der S-Bahn, des Polizeieinsatzes vor der Synagoge, angesichts der Verbrechen der Wehrmacht." Allerdings geben einige Eintragungen junger Menschen, offenbar ein Klassenbesuch, zu denken. Weniger über den Grad der Rechtschreibung als über den Grad der Reife: "Das Leben ist hart und gemein, aber ein Joint passt immer noch rein." "Die Ausstellung wahr nicht so toll und sonst auch nicht." "Sie wahr Scheisse, alles verkackt, ihr hättet besser machen können."

Zwei Aussagen könnten dennoch stellvertretend dafür stehen, was die Besucher empfunden haben: "Diese Ausstellung ist ein Beweis für die demokratische Reife der deutschen Gesellschaft." Und: "Endlose Trauer und Wut über die unsägliche Geschichte."

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