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Instrument des Verbrechens

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Die Emotionen, die sie auslöste, der Eiertanz deutscher Politiker, beweisen die ungebrochene Virulenz des Themas. Wie sich ihre Gegner in die Details der Uniformen, in die Beweiskraft von Bildern verbeißen, das zeigt doch: die ganze Richtung paßt ihnen nicht. Hätte die Gesellschaft, in der wir leben, diese weit zurückliegenden Ereignisse verarbeitet, dann würden die alten Wehrmachtveteranen auf diese Ausstellung nämlich mit der gelassenen Feststellung reagieren, zwar stimme da und dort ein Kragenspiegel nicht, und ein Teil der Fotos sei dubios, aber daß die Deutsche Wehrmacht nicht gerade wenige Verbrechen begangen habe, sei doch sowieso jedermann bekannt.

Hitlers Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel wurde ja beim Unterschreiben des Befehls, gefangengenommene sowjetische Kommissare ohne Umstände zu erschießen, nicht fotografiert. Auch sollte jeder wissen, daß mit Fotos allein schon vor 50 Jahren nichts zu beweisen war. Stalin ließ den neben Lenin stehenden Trotzki aus historischen Fotos herausretuschieren, heute kann man das viel besser. Viele Kritiker der Ausstellung tun so, als sollte sie die Verbrechen der Y\ ehrmacht beweisen. Diese Verbrechen sind aber längst bekannt und bestens dokumentiert. Die Ausstellung ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die gut oder weniger gut geglückte Visualisierung eines Themas, und daß sie solche Wellen schlägt, beweist, daß sie geglückt ist. Denn sie bringt Verschüttetes zum Vorschein. 1 )afür ist ihrem Sponsor, Jan Philipp Reemtsma, zu danken.

Er sollte nun vielleicht eine zweite Ausstellungermöglichen: Nazigegner und Widerstand in der Wehrmacht. 1 )ie werden wohl viele Gegner der jetzigen Ausstellung auch nicht recht mögen. Doch wer sich mit der Geschichte des Widerstandes in Deutschland und Osterreich befaßt hat, der weiß: Oft genug retteten Nazigegner in der Wehrmacht gefährdete zivile Nazigegner, indem sie sie schnell einrücken ließen. Auf Wehrmachtangehörige hatte die Gestapo nämlich keinen Zugriff. Aber gerade die Überlebenden des Widerstandes in der W ehrmacht haben kein Problem, über deren Verbrechen zu reden. Gerade unter ihnen wußten viele ülx'r diese Vcrbreeben Bescheid, und wenn nicht, dann haben sie sich nach dem Krieg weder darüber gewundert noch sie abgestritten. I >nd gerade sie wußten, daß es in der Wehrmacht Nazis und Nazigegner gab, Anständige und Unanständige, Wissende, Sehende und solche, die auch nach dem Krieg ungern zur Kenntnis nahmen, was im Krieg ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. So scheidet denn diese Ausstellung die Geister, aber nach wie vor stehen eben auch manche da zwischen.

Die Dcutsche Wehrmacht war koi nc verbrecherische Organisation, aber sie war ein Instrument des \ erbre chens. Selbst der anständigste deut sche Soldat war, gern oder nicht, Soldat des Aggressors. Man kann daher die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht auf gar keinen Fall auf eine Stufe selbst mit den inhumanen Handlungen ihrer Gegner einschließlich der Freischärler, Saboteure, Partisanen und so weiter stellen. Sie hatten Deutschland nicht angegriffen. Sie verteidigten ihre Länder gegen einen unbarmherzigen, unmenschlichen Feind. Jeder in der Wehrmacht, der die Nazis nicht mochte, wußte das.

Und noch etwas muß leider gesagt werden, auch wenn es mancher ungern hört: Die negativen Reaktionen auf diese Ausstellung erinnern wieder einmal an die Fehler und Versäumnisse der Nachkriegszeit. An das re-staurative politische Klima, das drei, vier Jahre nach dem Krieg die Verar-beitung des Geschehenen, das Entsetzen, die Trauer, die Besinnung, die politischen und persönlichen Konsequenzen, erstickte. Österreichs Groß parteien würgten die Aufarbeitung ab, um die Nazistimmen zu gewinnen. Sie sind dabei aber viel weiter gegangen, als sie diesen Stimmen zuliebe hätten gehen müssen. Einige Jahre lang predigten sie Versöhnung mit den Mitläufern, den auf den Nationalsozialismus I lereingefallenen, aber die volle 1 lärte des Gesetzes für Mörder, Totsch läger, Menschenschinder, Folterer, Gestapo-Denunzianten und Räuber. Nur, um hinterher die „Idealisten" und die Verbrecher mit dem Kochlöffel unterschiedsloser Anbiederung zu verrühren und alle miteinander zu begnadigen.

Hunderttausende Wehrmachtangehörige kamen erst Jahre nach dem Krieg aus der Gefangenschaft nach Österreich zurück, mitten in dieses Klima. Die „Wiener Zeitung" druck te seitenweise Suchanzeigen nach Vermißten. Die Suche nach Soldaten der Wehrmacht war kostenlos. Für die Suche nach verschleppten Juden mußte bezahlt werden. Die Angehörigen gefallener Soldaten waren von der Erbschaftssteuer voll befreit. Den Angehörigen ermordeter Juden wurde großzügig eine Freigrenze ein geräumt, aber auch diese in mindestens einem Fall gestrichen, weil eine in Auschwitz vergaste Jüdin Osterreich verlassen und damit laut Gerichtsurteil „auf die österreichische Staatsbürgerschaft verzichtet" hatte. Dienstzeiten in der Wehrmacht wurden als Sozialversicherungszeiten anerkannt, Dienstzeiten von Emigranten in alliierten Armeen nicht

So wurde bei den Kriegsheimkehrern der Eindruck erzeugt, sie hätten für die 1 leimat gekämpft und einen fairen Krieg geführt und Europa verteidigt, und so weiter, und so fort. Es darf uns daher nicht wundern, wenn die alten Kameraden auf die Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht negativ reagieren. Es entspricht dem, was ihnen in der Nachkriegszeit gesagt wurde.

Übrigens war das restaurative Klima im Deutschland der frühen Nachkriegszeit sogar noch ärger als in Osterreich. Deutschland war schließlich kein befreites Iand. Später haben die Deutschen gelernt. Osterreich hat einstweilen seine I Aktionen einige Jahrzehnte lang geschwänzt. Aber auch in Deutschland gehen deswegen die W ogen der Emotionen nicht weniger hoch. Vor allem in München, was wohl auch seine Gründe hat.

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