Das Ringen um einen "modernen" Islam

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Der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad hat vor Jahresfrist mit seinem Bestseller "Mohammed. Eine Abrechnung" im deutschen Sprachraum Furore gemacht. Nun widerspricht ihm Mouhanad Khorchide in einem Streitgesprächs-Buch mit Verve.

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Der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad hat vor Jahresfrist mit seinem Bestseller "Mohammed. Eine Abrechnung" im deutschen Sprachraum Furore gemacht. Nun widerspricht ihm Mouhanad Khorchide in einem Streitgesprächs-Buch mit Verve.

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Eine mittlerweile als wilde Abgeordnete dem österreichischen Nationalrat Angehörende hatte bereits vor acht Jahren mit Mohammed-Beschimpfungen Empörung ausgelöst: Als die damalige Grazer FPÖ-Politikerin Susanne Winter Mohammed, den "Gesandten Gottes" für die Muslime, als "Kinderschänder" bezeichnete, gab es Aufruhr nicht nur in der muslimischen Community, sondern in allen politischen Lagern außerhalb der FPÖ - sowie ein Gerichtsverfahren, das mit einer Verurteilung Winters endete.

Im Jahr 2015 hingegen, als der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad mit dem Bestseller "Mohammed. Eine Abrechnung" reüssierte, gab es keinen Aufschrei dagegen, geschweige den Gerichtsurteile. Im Gegenteil: Abdel-Samad tourte durch die Talkshows des deutschen Sprachraums und bis hinauf in den Olymp journalistischer Edelfedern wurde das Buch als seriöser Aufweis dafür gefeiert, wie sehr der Islam von seinen Wurzeln her eine bösartige und vor allem gewaltbereite Religion sei. Susanne Winters Vorwürfe nehmen sich gegenüber dem, was in Abdel-Samads Buch an Gewaltexzessen, (Massen-)Morden und Sexualverbrechen, auch bis hin zu Kindesmissbrauch, durch den Propheten und die Muslime der ersten Stunden behauptet wird, wie ein Lüfterl gegenüber einem Sturm aus.

Theologischer Widerspruch

Dass Hamed Abdel-Samad ein begnadeter Formulierer und Polemiker ist, macht die Auseinandersetzung mit seiner Islam-Abrechnung nicht einfacher. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass bislang von muslimischer Seite kaum theologisch gegen den Autor argumentiert wird. Eine Ausnahme stellte der in Münster lehrende (und auch als FURCHE-Kolumnist tätige) Mouhanad Khorchide dar, der sich im Vorjahr in einem Spezial der renommierten Monatsschrift Herder Korrespondenz einer Kontroverse mit Abdel-Samad stellte. Nun lässt der Herder-Verlag diesem kleinen Streitgespräch ein großes in Buchform folgen , in dem die beiden unter der Moderation von Stefan Orth, dem stellvertretenden Chefredakteur der Herder Korrespondenz aufeinandertreffen.

Khorchide ist deshalb ein guter Widerpart zu Abdel-Samad, weil er nicht unter dem Verdacht steht, die Gewaltgeschichte bzw. die Gewaltanfälligkeit bestimmter Lesarten des Islam zu leugnen. Im Gegenteil wird er nicht müde, diese Lesarten, die als Dschihadismus, Salafismus, Islamismus - und auch bis in einen Teil des muslimischen Mainstreams hinein - wirkmächtig sind, aufzuzeigen und seine Glaubensgeschwister zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der problematischen Rezeptionsgeschichte des Korans und der Texte eines Ur-Islams, die in heutigem Kontext, gelinde gesagt, missverständlich sind, zu drängen.

Khorchide ist in dieser Hinsicht in der muslimischen Community nicht unumstritten. Aber gerade die intellektuelle Auseinandersetzung im europäischen Kontext bedarf einer Stimme wie der seinen. Interessant ist es dann schon, mit welcher Verve Khorchide im Streitgesprächs-Buch "Zur Freiheit gehört es, den Koran zu kritisieren" gegen Abdel-Samad auftritt.

Im Wesentlichen wirft Khorchide dem deutsch-ägyptischen Bestseller-Autor vor, genauso fundamentalistisch zu argumentieren wie die gewaltbereiten und -tätigen Muslime, gegen die er anschreiben will. Abdel-Samad schaue, so Khorchides Vorwurf, so auf Texte aus dem ersten nachchristlichen Jahrtausend, als würden sie im 21. Jahrhundert wörtlich genauso zu lesen sein. Außerdem sei die Quellenlage, was das Leben Mohammeds und seine Aussagen außerhalb des Korans betrifft, äußerst dünn. Khorchide macht etwa darauf aufmerksam, dass der bekannteste Biograf Mohammeds, Ibn Ishaq erst gut 100 Jahre nach dem Propheten gelebt hat, und dass dessen Biografie erst durch Ibn Hisham, der um 833 starb, überliefert wurde. Schon von daher wären glorifizierende Zuschreibungen wie auch politische Interpretationen späterer Generationen in die Propheten-Vita eingeflossen.

Für den in der europäischwestlich Denktradition Geschulten sind das alles keine aufregenden Erkenntnisse: Hierzulande würde niemand an eine Heiligen-Vita aus dem Mittelalter oder auch an biblische Texte moderne Historizitätskriterien anlegen. Textkritik und Quellenforschung sind dazu da, sich genau dem zu nähern - und es mag sein, dass in den islamischen Gelehrtenschulen diesbezüglich einiges an Nachholbedarf herrscht. Das konzediert Khorchide seinem Kontrahenten durchaus; aber wie Abdel-Samad etwa mit dem westlichen Familien- und Partnerschaftsverständnis des 21. Jahrhunderts an Texte des achten Jahrhunderts herangeht, zeigt, wie verquer die eigentliche Diskussion geführt wird.

Redlicher Diskurs ist notwendig

Fatalerweise findet dieser Diskurs aber nicht auf dem nötigen Niveau statt, sondern beispielsweise im Boulevard oder eben in Büchern wie dem von Abdel-Samad. Doch weil letzteres so erfolgreich ist, steht es muslimischen Vertretern dennoch an, sich mit dem Autor und seiner Argumentation auseinanderzusetzen. Wer sich nicht mit den einfachen Antworten, die Abdel-Samad durchaus bestechend klingend in seinem Mohammed-Buch darlegt, zufriedengeben will, dem ist die Lektüre des zitierten Streitgesprächs ans Herz zu legen. Im Sinn einer redlichen Auseinandersetzung ist dies dringlich.

Demnächst stellt sich auch hierzulande ein prominenter Muslim der Diskussion mit Hamed Abdel-Samad: Am Montag, 4. April, 19 Uhr 30, findet ein Streitgespräch zwischen Tarafa Baghajati von der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen und Abdel-Samad statt (Ort: Zwi Perez Loge der B'nai B'rith, 1040 Wien, Taubstummenstraße 17).

"Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

Ein Streitgespräch von Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide, Herder 2016.128 S., geb., € 15,40

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