Davao zwischen Sicherheit und TODESANGST

19451960198020002020

Präsident Duterte startete in der philippinischen Metropole Davao vor zwei Jahrzehnten den Kampf gegen Drogen - mit allen Mitteln. Sein Modell der Rechtslosigkeit hat Schule gemacht im Inselstaat.

19451960198020002020

Präsident Duterte startete in der philippinischen Metropole Davao vor zwei Jahrzehnten den Kampf gegen Drogen - mit allen Mitteln. Sein Modell der Rechtslosigkeit hat Schule gemacht im Inselstaat.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Roxas Boulevard, mitten im Geschäftsviertel von Davao, steht ein schlichtes Denkmal. Auf einer Marmorplatte sind die Namen von 15 Opfern eines Bombenanschlag eingraviert. Am 2. September des letzten Jahres starben vor allem Masseurinnen und Masseure, die auf einfachen Plastiksesseln unter freiem Himmel Verspannungen im Nacken und am Rücken behandelten. Der Attentäter hatte diese Dienste selbst in Anspruch genommen und dann den primitiven Sprengsatz unter einem Sitz hinterlassen.

Bis heute ist nicht gänzlich geklärt, wer hinter dem Anschlag steckt. Vieles deutet auf die radikal-islamistische Gruppe Abu Sayyaf hin, die im Westen der philippinischen Insel Minadanao und auf den Sulu-Inseln ihr Unwesen treibt. Es gibt aber auch Hinweise, dass Drogenbosse ein Zeichen setzen wollten. Davao, die Hauptstadt von Mindanao, gilt als eine der sichersten Millionenstädte weltweit, seit Rodrigo Duterte dort vor zwei Jahrzehnten mit brachialen Methoden dem Verbrechen den Kampf ansagte. Drogenhändler wurden von Killerkommandos, die den unverhohlenen Beifall des Bürgermeisters genossen, hingerichtet. Heute ist Duterte Präsident der Philippinen. Zwar erhielt er bei den Wahlen im Mai nur 39 Prozent der Stimmen, doch in Davao City gaben unglaubliche 96 Prozent ihre Stimme für den ehemaligen Bürgermeister ab. Schon damals versprach er, das Modell Davao auf die ganze Nation ausweiten zu wollen.

Die Stadt im Duterte-Fieber

In Davao, dieser etwas chaotischen, großflächigen Stadt an einer Bucht im Süden der Insel, wo der Verkehr oft nur im Schritttempo vorankommt, sprechen fast alle in den höchsten Tönen von ihrem Präsidenten. Viele tragen Duterte-T-Shirts oder kleben seine Slogans auf die Stoßdämpfer ihrer Autos. Sein gut bewachtes Privathaus am Stadtrand ist zu einer Pilgerstätte geworden. Souvenirhändler machen vor dem vergleichsweise bescheidenen grünen Eckhaus ein gutes Geschäft mit Duterte-Tassen, Aufklebern, T-Shirts und Kühlschrank-Magneten. Eine lebensgroße Pappkopie des Präsidenten lädt zum Selfie ein. Jüngste Umfragen bescheinigen ihm hohe Popularitätswerte. 84 Prozent landesweit begrüßen seinen Krieg gegen die Drogen. Und viele teilen die unentwegt getrommelte Botschaft, dass Drogenkonsum und -handel zum zentralen Problem der Philippinen geworden sind.

Der Bauer Gilbert, der unweit von Davao seine Felder hat, wurde schon vor Jahren von Freunden zum Konsum von Crystal Meth verführt. Die auf den Philippinen als Shabu gehandelte Synthetikdroge, die aus China und Nordkorea ins Land geschmuggelt wird, macht schnell süchtig. Gilbert vernachlässigte seine Familie und macht sich für den Tod seiner noch nicht zweijährigen Tochter verantwortlich: "Statt sie ins Krankenhaus zu bringen, habe ich zuerst an meine Sucht gedacht." Bald begann er auch im Freundeskreis kleine Mengen zu dealen und eines Tages sei er von der Polizei erwischt worden. "Dann stellte mich der Polizeichef vor die Optionen: Du kannst wählen - Gefängnis, Entzug oder Friedhof." Gilbert wählte den Entzug und ließ sich in die kommunale Rehabilitationsklinik für Drogenabhängige außerhalb von Davao einweisen.

Dort herrscht ein strenges Regiment. Die Klienten, residents genannt, müssen vor Tagesanbruch aufstehen und werden den ganzen Tag beschäftigt, wie Schwester Eleanor Gabato schildert. Sie müssen ihr eigenes Essen kochen, die Schlafsäle sauber halten und ihre Wäsche waschen. Die straff gezogenen Bettlaken und der Morgenappell tragen unverkennbar militärische Züge. Überhaupt trägt das Zentrum eher die Züge einer Besserungsanstalt als einer Entzugsklinik. Wer sich bei Verfehlungen, wie Sex mit anderen residents, Fluchtversuch, oder Einnahme von Drogen erwischen lässt, bekommt zu den sechs Monaten Mindestverweildauer einen weiteren Monat aufgebrummt. Auch wer nur ein welkes Blatt einrollt und anzündet, gilt schon als rückfällig. Flirten oder das Schreiben von Liebenbriefen werden als Sex geahndet. Behandelt werden nur leichte Fälle von Sucht. Drogenabhängige, die medikamentöser Betreueung bedürfen, werden nicht aufgenommen. In den USA liegt die Erfolgsquote bei stolzen 85 Prozent. In Davao gibt es dazu keine Zahlen, da die Patienten anschließend dem Gesundheitsministerium für 18 Monate zur Nachbehandlung überantwortet werden.

Völliges Versagen des Justizsystems

Nur einer verschwindenden Minderheit wird das Privileg des geordneten Entzugs zuteil. Die Gefängnisse in Davao seien zu 600 Prozent überbelegt, sagt die Sozialforscherin Mags Maglana, die ein völliges Versagen des Justizsystems diagnostiziert. So bleibe für viele, die im Visier der Polizei stehen, nur die dritte Option: der Friedhof. Für über 2000 der rund 6000 Opfer des Drogenkrieges übernimmt die Polizei selbst die Verantwortung. Auch wer sich freiwillig stelle, sei nicht sicher, kritisiert Maglana. Sie weiß von Leuten, die trotzdem erschossen worden seien. Cherry Ann Malencion, die in der Rehabilitationsklinik als Sozialarbeiterin angestellt ist, glaubt nicht, dass die Polizei absichtlich tötet: "Sie schießen nur zurück. Drogensüchtige sind geisteskrank, sie haben eine Paranoia und wenn man sie festnehmen will, wehren sie sich." So ähnlich steht es auch in den Polizeiprotokollen, deren Wahrheitsgehalt so gut wie nie überprüft wird.

Die Sozialarbeiterin schwärmt davon, wie sicher die Stadt geworden sei. Davao ist weiterhin fest im Griff des Duterte-Clans. Tochter Inday Sara setzt als Bürgermeisterin die Politik ihres Vaters fort. Und Cherry Ann kennt es noch anders: "Früher konnte man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr unterwegs sein, ohne überfallen zu werden." Auch die Entzugspatienten in der Reha-Klinik befürworten die harte Hand gegen Süchtige. Der Bauer Gilbert schränkt jedoch ein: "Man muss sie aber nicht gleich umbringen." Bernie Mondragon, der die Kinderrechtsorganisation Child Alert in Davao leitet, kann die Begeisterung über die Methoden des Präsidenten nicht teilen: "So viele Kinder werden zu Waisen gemacht." Für ihn ist nicht der Drogenkonsum, sondern die Armut das größte Problem der Philippinen: "Die meisten Opfer dealen ja, weil sie arm sind und ihre Familien durchbringen müssen."

Die Killerkommandos sollen bald der Vergangenheit angehören, hat Duterte versprochen. Wenn es nach ihm geht, soll bald der Henker walten. Im Kongress liegt ein Gesetzesvorschlag, der die Wiedereinführung der Todesstrafe vorsieht: Für über 20 Verbrechen wie Hochverrat, Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge, aber auch Drogenhandel und -konsum. Gleichzeitig soll die Strafmündigkeit von 15 auf neun Jahre herabgesetzt werden.

Für Menschenrechtsaktivisten wie Bernie Mondragon ist das völlig absurd. Er leitet die Kinderrechtsorganisation Child Alert in Davao, die von der östereichischen Dreikönigsaktion unterstützt wird. "Ich verstehe nicht, was sie damit bezwecken wollen. Kinder werden für Verbrechen missbraucht.

Welchen Sinn ergibt dann eine Strafe?" Wenn sich ein Drogenhändler eines Kindes bediene, dann müsse der bestraft werden und nicht das Kind. Child Alert war unter den ersten Organisationen, die gegen den Gesetzesantrag mobil machten. Duterte, der im Kongress über eine bequeme Mehrheit verfügt, sieht die Kritik an seinem Feldzug völlig humorlos. Sollten Menschenrechtsaktivisten ihn behindern, dann würden sie auch getötet werden, ließ er wissen. Während sich die einen sicher fühlen, leben also andere - und nicht nur Kriminelle - in Todesangst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung