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Ein Bote Gottes

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GESCHICHTE DES HEILIGEN DOMINIKUS. Von Marie-Humbert Vicaire OP. Band I: Ein Bote Gottes. Deutsche Ubersetzung von Josephine Enenkel. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau. 376 Seiten. Preis 36 DM.

Jordan von Sachsen, der unmittelbare Nachfolger des heiligen Dominikus in der Ordensleitung, hat uns in seinem „Buch von den Anfängen des Predigerordens“ ein Bild des Stifters des Dominikanerordens geschenkt. Von deutscher Seite war damit ein erster und wichtiger Beitrag für die Biographie des Heiligen geliefert worden. Leider hat man in der neueren Zeit im deutschen Sprachraum auf dieses ursprüngliche Interesse am heiligen Dominikus nicht mehr zurückgegriffen. Während nämlich in Frankreich durchschnittlich alle zehn Jahre eine neue Dominikus-Biographie erscheint, ist bei uns die Beschäftigung mit dem Stifter des Predigerordens viel geringer. Daher ist es nur zu begrüßen, daß sich der Verlag Herder entschloß, das neue zweibändige, 1957 in Paris erschienene Werk über den heiligen Dominikus von dem in Freiburg in der Schweiz lehrenden Ordenshistoriker Vicaire in deutscher Übersetzung herauszubringen.

Vicaire hat uns nämlich eine bedeutende und wichtige Biographie des Heiligen aus Caleruega geschenkt. Der Fachkenner würde zwar in manchen Punkten anders formulieren als Vicaire; das gilt besonders von den Ereignissen, in deren Interpretation Vicaire den Ergebnissen französischer Historiker folgt, die sich von Ansichten deutscher Forscher öfters unterscheiden.

Diese Mängel hindern uns aber nicht, das Werk in seinen Einzelheiten wie in der Gesamtkonzeption als großartig zu bezeichnen. Wir haben es hier weder mit einem geistreichen Essay noch mit einer der geschichtlichen Wirklichkeit nicht gerecht werdenden Konstruktion zu tun, sondern mit einer Biographie, die auf den Urkunden fußt und behutsam alle zeitgenössischen Quellen auswertet.

Im ersten vorliegenden Band werden in zehn Kapiteln die einzelnen Etappen des Lebenswegs von Dominikus bis 1215 geschildert: von Caleruega, Palencia und Osma in Spanien über die spanischen Marken hinüberführend in das politisch, sozial und religiös aufgewühlte Südfrankreich.

Dominikus wird immer in einem engen Bezug zu seiner jeweiligen Umwelt gesehen. Es ist da zuerst das fromme, kirchliche und zur Eroberung bereite

Spanien seiner Kindheit und Jugend. In Osma ist es dann das reformierte Domkapitel. Dominikus kommt dabei in Berührung mit der großen religiösen Bewegung des Mittelalters, dem leidenschaftlichen Verlangen, das Leben nach dem Ideal der Urkirche zu gestalten. Wie ein roter Faden wird sich durch das ganze Leben des Ordensstifters das Ideal dieser Bewegung, zusammengefaßt im zündenden Schlagwort „Vita apostolica“ hindurchziehen. In der Begegnung mit neben-, außer- und antikirchlichen Gruppen in Südfrankreich gewinnt dann dieses Ideal eine neue Ausrichtung: die apostolische Predigt. Vicaire hält hier — in vorsichtiger Formulierung zwar — seine schon früher begründete und von seinem Lehrer, Pierre Mandonnet, übernommene These aufrecht, daß der erste Anstoß zu der apostolischen Predigt von keinem geringeren als Papst Innozenz III. selbst ausgegangen sei.

Vicaire gestaltet eine historische Biographie. Sein „Objekt“ ist aber ein Heiliger. Worin liegt nun der hagio-graphische Wert des Werkes? Man kann darauf folgende Antwort geben: Dominikus, der Bote Gottes, ist zunächst ein „Hörer des Wortes“. Der Anruf dieses „Wortes“ ist lange Zeit hindurch ein verschleierter. Aber als wacher, sich nach Idealen ausrichtender Mensch nimmt er von seiner stetig sich ausweitenden Umwelt Anregungen auf und läßt sich durch sie formen. Seine Heimat, das reformierte Chorherrentum, die südfranzösische Häresie und noch der päpstliche Predigtauftrag sind wie unentschlüsselte Chiffren, die aber einen Anruf enthalten. Dominikus ist diesem Anruf gehorsam. Mit dem wachsenden Gehorsam geht dann Hand in Hand die Einsicht in den Sinn der fordernden Chiffren: nichts anderem als der Predigt zu leben, den Ordo praedicatorum in einer neuen Form ins Dasein zu rufen. Mag diese Leitidee auch in irgendeiner Form von Innozenz III. ausgesprochen und von Diego von Osma, dessen Gehilfe und Begleiter Dominikus zuerst gewesen war, begeistert aufgegriffen worden sein, Dominikus war es aber dann gewesen, der mit bewundernswerter Ausdauer und großer Umsicht das Werk zu seiner schließlichen Vollendung führte.

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