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Predigt und Studium

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GESCHICHTE DES HL. DOMINIKUS. Bmnd II: Inmitten der Kirche. Von H. M. Vicaire 0P. Deutsche Übersetzung von Josephine Enenkel. Verlag Herder Freiburg -Wien. 40 Seiten. Preis 38 DM.

Vor längerer Zeit wurde In der „Furche“ auf den ersten Band der neuen Dominikusbiographie — aus der Feder des in Freiburg (Schweiz) lehrenden Ordenshistoriker H. M. Vicaire — hingewiesen. Inzwischen ist in deutscher Übersetzung auch der zweite und abschließende Band erschienen.

Dieser zweite Teil der „Geschichte des hl. Dominikus“ zeigt den Heiligen „inmitten der Kirche“. Der Untertitel ist mit Bedacht gewählt worden. In der Schule des Evangeliums erzogen, wird dieser „Mann des Evangeliums“ jetzt zu dessen Gestalter im Raum der damaligen Kirche. Nur wenige Jahre, 1215 bis 1221, bilden den zeitlichen Rahmen dieser Gestaltung; aber sie sind voll von Bewegung nach innen und außen: Ein neuer Orden wird grundgelegt. Den Auftakt bildet die glänzendste Kirchenversammlung des Mittelalters, das von Innozenz III. einberufene III. Laterankonzil (1215). Die Szene — der demütige Kanoniker aus Südfrankreich vor dem tief ins Getriebe der großen Politik hineinlangenden Papst — darf man nicht dramatisieren. Weder Innozenz noch seine unmittelbaren Nachfolger stehen dem Anliegen des Bittstellers ablehnend gegenüber. Kirchliches Amt auf der einen, geistliche Vollmacht auf der anderen Seite wirken im Falle der Gründung des Predigerordens zum Wohle der ganzen Kirche einträchtig zusammen. „Bevorzugte Söhne“ nennen diese Päpste die ersten Gefährten des Heiligen. Nachdem am 22. Dezember 1216 Honorius III. die Predigergemeinschaft von Toulouse bestätigt hatte, erging über die neue Gemeinschaft „ein wahrer Regen von päpstlichen Empfehlungen“. Mit diesen „Personalausweisen“ schickt Dominikus nach dem denkwürdigen Kapitel zu Toulouse am 15. August 1217 seine Jünger in die Provinzen Europas. Paris und Bologna werden bald zu Strahlungspunkten der neuen Gemeinschaft. Auf dem zweiten Generalkapitel zu Bologna, 1221, kann der Orden schon in fünf Provinzen eingeteilt werden: Lombardei, Provence, Spanien, Paris und Rom; für drei weitere wird der Grund gelegt: Deutschland (im salzburgischen Friesach wurde schon 1217 eine allerdings mehrere Jahre hindurch gefährdete Niederlassung gegründet), Ungarn und England. Die Kräfte des Qrdens,-gründers sind aufgezehrt; noch nicht 50 Jahre alt, stirbt er am 6. August 1221 in Bologna.

In zehn Kapiteln — die Zählung des ersten Bandes wird fortgeführt

— behandelt Vicaire diese ereignisreichen Jahre, an deren Ende ein festgefügter neuer Orden steht. Was hat es für eine Bewandtnis mit dieser Stiftung? Auf eine von verschiedenen Faktoren bedingte Herausforderung antwortet Dominikus mit dem Werk seiner Gemeinschaft: Dem ersten von unten nach oben durchorganisierten Klerikerverband. Nach einem klaren, jedem einzelnen zu-mutbaren und darum auch durchführbaren Konzept ist der erste Bettelorden gestaltet. Alle weiteren Orden dieser Art, Minoriten, Augustinereremiten und Karmeliten

— um nur die vier klassischen mittelalterlichen Bettelorden zu nennen —, folgen in den Grundzügen ihrer Verfassung der von Dominikus entwickelten neuen Ordensform. Die vielfach vergatterten Zusammenhänge kennenzulernen, die zu dieser neuen „Vita communis“ führten, Ist ein großer Gewinn der Lektüre dieses Buches.

Noch reizvoller sind die Dinge, die der Verfasser über den Namen des neuen Ordens zu sagen hat. Denn

„Ordo Praedicatorum“ besagt viel mehr, als man so obenhin anzunehmen geneigt ist. Natürlich sagt dieser Name etwas von der Tätigkeit der neuen Gemeinschaft: Für die Predigt gestiftet. Doch hinter diesem Namen verbirgt sich viel mehr. Die Visionen eines Joachim von Fiore und einer Mechthild von Magdeburg waren Dominikus noch fremd. Aber was ihn mit diesen verbindet, ist die große „evangelische Bewegung“ des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts. In diesem zwar zeitgeschichtlich gefärbten Evangelismus prägt sich aber die zeitlos gültige Lebenskraft der Kirche aus: die Predigt! Denn diese ist gottgewährte Gabe in dem „Zwischen“ von Christi Himmelfahrt bis zu seiner Parusie. Welch ein Sendungsbewußtsein muß diesen Heiligen aus Spanien erfüllt haben, der es wagte, den bis dahin nur der Gemeinschaft der Bischöfe vorbehaltenen Namen „Ordo Praedicatorum“ auf seine Gemeinschaft anzuwenden!

Doch Dominikus „weiß, was er tut“; auch in dieser kühnen Planung bleibt er besonnen und in Tuchfühlung mit der Wirklichkeit. Man kann nicht predigen, wenn man nicht studiert! Studium erhält

deshalb in der Gesetzgebung des Ordens einen vorzüglichen Platz. Auch diese Regelung bedeutet in der Geschichte des abendländischen Mönchtums eine unerhörte Neuerung. Denn bislang blieb das Studium nur dem einzelnen Mönch überlassen, jetzt wurde jeder Ordensangehörige zum ständigen Studium verpflichtet. Das Studium erlangt durch den Predigerorden den gleichen Rang wie Chorgebet oder andere monastische Übungen.

Nach diesen Ausblicken auf die Ordensgründung, die sich bei der Lektüre immer wieder aufdrängen, ist noch auf das 20. Kapitel der Biographie hinzuweisen; Vicaire berichtet hier über die Kanonisqtion des Heiligen, die erst 1243 erfolgt, während Franz von Assisi zwei, Antonius von Padua kaum ein Jahr nach dem Tode kanonisiert werden. Die Verzögerung mutet fast wie Vergessen oder Vernachlässigung an. Dominikus hat in wenigen Jahren seine Gemeinschaft geformt und gefestigt — nicht so sehr durch seine Person wie Franz von Assisi, sondern durch seine Gesetzgebung, so daß er fast unbemerkt sterben kann. Erst ein Wink Gregors IX., der den Ordensstifter persönlich kannte, und wohl auch ein Nacheifern der Minderbrüder führt dann zur Kanonisation, die der genannte Papst am 3. Juli 1243 in Rieti vollzieht.

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