Förderung und Überforderung

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„Das Leben des Galilei“ – einstudiert von rund 30 Schülern mit Migrationshintergrund – macht deutlich, dass Integration funktionieren kann. Ein professionelles und ehrgeiziges Schulprojekt.

Das 3raum-Anatomietheater in Wien ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist zehn Uhr Vormittag und Theaterchef Hubsi Kramer weist den letzten stehenden Gästen hektisch Sitzplätze zu. Gespannt, aber auch sehr unruhig warten die Besucherinnen und Besucher auf den Beginn der Vorstellung. Publikum und Schauspieler haben einiges gemeinsam:Sie sind Schüler und die meisten kommen aus einer Familie mit Migrationshintergrund.

„Das Leben des Galilei“, ein Stück des deutschen Autors Bertolt Brecht, steht am Programm, inszeniert von Tina Leisch. Die bekannte Film-, Text- und Theaterarbeiterin hat schon mehrfach Theaterexperimente in gesellschaftlichen Konfliktzonen umgesetzt. 2003 erhielt sie den Nestroypreis für die Umsetzung von George Taboris „Mein Kampf“ mit Bewohnern des Männerwohnheims in der Wiener Meldemannstraße – jenes Haus, in dem einst auch Adolf Hitler Zuflucht suchte und fand. 2008 wurde sie beim Filmfestival Viennale für ihren Film „Gangster Girls“ lobend erwähnt.

Drama Club als Erfolgsrezept

Als die ersten Darsteller die Bühne betreten, wurde es mucksmäuschenstill im großen Theatersaal. Von Anfang an zogen die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Zuseher in ihren Bann. Das sonst übliche Gelächter bei Schülertheater-Vorstellung verstummte. Trotz der schwierigen Sprache, trotz des anspruchsvollen Themas, trotz der ungewohnten Form – nur wenige Jugendliche haben einen Bezug zur Kunstform Theater – war eine gespannte Aufmerksamkeit im Saal zu spüren.

Angespannt waren anfänglich auch die Darstellerinnen und Darsteller, die Nervosität verflog aber von Minute zu Minute und wich der Freude am Spielen.

Alle Schülerinnen und Schüler auf der Bühne beschäftigen sich schon länger mit Schauspiel. Seit 2007 bietet ihre Schule, die Kooperative Mittelschule Pazmanitengasse in Wien-Leopoldstadt, den sogenannten Drama Club an, eine Art freies Wahlfach Schauspiel. Die Idee geht zurück auf Direktorin Eva Richlik sowie einer handvoll engagierter Lehrerinnen. Das Ziel: Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern werden Jahr für Jahr Theaterstücke einstudiert und dann – bisher im kleineren Rahmen – aufgeführt zu werden.

Glaubt man manchen rechtspopulistischen Politikern, dürfte es eine Einrichtung wie den Drama Club gar nicht geben. Denn die Mittelschule Pazmanitengasse ist das, was gerne als „Problemschule“ bezeichnet wird: Der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund beträgt rund 98 Prozent. „Kinder, die in Wien in eine Hauptschule gehen, werden gerne als Loser abgestempelt“, erklärt Direktorin Eva Richlik. „Wir wollen aus den Schülern aber Gewinner machen. Deswegen bieten wir ihnen viele unterschiedliche Kunstprojekte an: Radiosendungen werden gestaltet, Filme werden gedreht, letztlich hat einer unserer Schüler sogar einen Redewettbewerb gewonnen. Und aktuell arbeiten wir mit der Uni Wien zusammen. Es geht um das WISK-Programm, ein Projekt zur Gewaltprävention und zur Entwicklung sozialer Kompetenzen.“

Sozialkompetenz und Spracherwerb

Dass die aktuelle Theaterproduktion so professionell einstudiert werden konnte, liegt auch an der Unterstützung des Vereins „Wirtschaft für Integration“, der auf der Suche nach einem unterstützungswürdigen Projekt mit Migrantinnen und Migranten war. „Der Verein ist an unsere Schule herangetreten und hat uns gefragt, wie er uns unterstützen könnte. Daraus entstand dann die Idee zur Umsetzung dieses Theaterstücks“, so Richlik.

Die Vorgabe des Vereins war klar: Das gesponserte Projekt soll dazu beitragen, dass sich Kinder mit Migrationshintergrund mit der deutschen Sprache beschäftigen – ein Fall für Theaterarbeiterin Tina Leisch. Sie war es, die – gemeinsam mit vielen Lehrerinnen – Brechts Stück mit den Kindern einstudierte. Sie war es auch, die das Stück „Das Leben des Galilei“ von Berthold Brecht auswählte. „Anfangs stieß ich damit auf großen Widerstand. Das Stück sei zu schwer und zu kompliziert. Ich soll es wenigstens so umschreiben, dass der Text einfacher wird“, berichtet Leisch. Doch darauf hatte sie keine Lust: „Die Jugendlichen sprechen teilweise ein sehr schlechtes, weil schleißiges Deutsch: Gemma Billa! Ich wollte sie mit der komplizierten Sprache Brechts herausfordern und gezielt auch überfordern.“ Wenn sie diese Sprache einmal verstehen, dann haben sie auch sonst weniger Schwierigkeiten mit Deutsch, ist Leisch überzeugt.

Vom Ergebnis und dem Erfolg des Projekts sind beide überzeugt – Tina Leisch und Eva Richlik. „Die Schüler lernen nicht nur den Text des Stücks auswendig, sondern viel mehr: Teamarbeit, soziale Kompetenzen, Selbstbewusstsein“, so Leisch. „Die Schüler haben so viel geopfert für das Zustandekommen dieses Stücks: Feiertage, Freizeit, zahlreiche Nachmittage. Sie haben hart gearbeitet und gelernt, dass sich Leistung auszahlt“, ergänzt Direktorin Leisch. Es zeige sich jedenfalls, dass Schülerinnen und Schüler in der Hauptschule keinesfalls blöder sind als jene im Gymnasium – auch wenn sie Deutsch mit Akzent sprechen, sagt Direktorin Richlik.

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