"Wissenschaftlicher Auftrag im Vordergrund"

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Der 1. Jänner ist auch für Wissenschafter und Studenten wie alle, welche die Österreichische Nationalbibliothek benützen, ein Stichtag. Sie ist dann kein Teil des Staatsapparates mehr, sondern eine vollrechtsfähige Institution mit kaufmännisch haftender Leiterin.

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Der 1. Jänner ist auch für Wissenschafter und Studenten wie alle, welche die Österreichische Nationalbibliothek benützen, ein Stichtag. Sie ist dann kein Teil des Staatsapparates mehr, sondern eine vollrechtsfähige Institution mit kaufmännisch haftender Leiterin.

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die furche: Sie haben den Verlag Ueberreuter saniert, die Titelzahl verdoppelt, Gewinne erzielt. Ist da die Leitung der Nationalbibliothek nicht ein ruhigeres Fahrwasser?

Rachinger: Das finde ich nicht. Alle Bibliotheken stehen vor großen Herausforderungen, die Digitalisierung muss vorangetrieben werden, die Vernetzung muss vorangetrieben werden, das ist das eine. Das andere ist: Die Österreichische Nationalbibliothek tritt mit 1. Jänner 2002 in die Vollrechtsfähigkeit über. Dafür sind noch sehr viele Vorbereitungen notwendig, die den ganzen Herbst über laufen und nicht nur mich, sondern alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier in der Nationalbibliothek voll fordern werden.

die furche: Haben Sie motivierte Mitarbeiter vorgefunden, oder eher eine Beamtenmentalität?

Rachinger: Ich bin erfreut und erstaunt, wie motiviert die Leute hier sind. Dass es in manchen Bereichen schwierig werden kann, wenn Organisationen verändert werden, ist klar.

die furche: Was heißt Vollrechtsfähigkeit für das Budget?

Rachinger: Es wird ein gedeckeltes Budget für vier Jahre geben. Wir stehen jetzt in den Verhandlungen.

die furche: Hat es kein Risiko bedeutet, diesen Job anzunehmen, ohne das Budget zu kennen?

Rachinger: Ich gehe davon aus, und das haben auch meine Gespräche signalisiert, dass die Bibliothek gut weitergeführt werden kann.

die furche: Der normale Benutzer denkt natürlich, wenn er Vollrechtsfähigkeit hört, an die Gebühren. Wird es bei den 100 Schilling für die Jahres- oder 20 Schilling für die Tageskarte bleiben?

Rachinger: Das kann ich noch nicht sagen. Unsere Gebühren sind international unter dem Schnitt, aber die Bibliothek muss für alle Benutzer da sein, auch für die, die nicht so viel Geld haben.

die furche: Sie haben die Digitalisierung erwähnt ...

Rachinger: Bibliothekarinnen und Bibliothekare sind auch Lotsen im Informationsdschungel. Dies wird immer wichtiger. Wir werden uns sicher auch mit der Online-Archivierung beschäftigen müssen. Bis jetzt werden die Publikationen, die online erscheinen, noch nicht systematisch gesammelt. Dafür fehlt auch die gesetzliche Grundlage einer Pflichtabgabe wie bei den Büchern.

die furche: Wie definieren Sie Online-Publikationen?

Rachinger: Alles, was ausschließlich über Internet publiziert wird.

die furche: Wer kann das sammeln?

Rachinger: Eben. Aber spätere Generationen haben dann keinen Zugriff mehr auf diese Informationen.

die furche: Wäre es kein Glück für die Menschheit, wenn ein Großteil dessen, was täglich in Umlauf gebracht wird, für immer verloren geht?

Rachinger: Das sagt man vielleicht aus heutiger Sicht, aber wenn man zurückblickt, erweist sich gerade die Alltagsinformation als wichtig, um Zugang zu einer Zeit zu finden.

die furche: Wie lange soll es beim jetzigen Online-Katalog mit den eingescannten Zetteln bleiben?

Rachinger: Jetzt haben wir einmal alles bis 1929 im Aleph, dem neuen System. Damit ist der weltweit größte Druckschriftenbestand, der geschlossen in digitalisierter Form katalogisiert ist, in der Nationalbibliothek verfügbar. Der zweite Schritt wird sein, die Zeit von 1930 bis 1992 zu erfassen. Ab 1992 ist sowieso alles digital katalogisiert.

die furche: Welche Herausforderungen stehen Ihnen sonst noch bevor?

Rachinger: Vollrechtsfähigkeit bedingt eine bedarfsgerechte Organisation für die Bibliothek.

die furche: Hat sie die denn nicht?

Rachinger: Nicht für die Vollrechtsfähigkeit. Das ist ja ein Unterschied.

die furche: Was bedeutet er für die Benutzer?

Rachinger: Vollrechtsfähigkeit ermöglicht schnellere Entscheidungen und flexibleren Einsatz von Budget und Personal.

die furche: Was heißt das aber für den Benutzer? Er bestellt ein Buch oder hat es über Internet vorbestellt und es liegt da. Das geht ja schon heute sehr schnell.

Rachinger: In eineinhalb Stunden.

die furche: Wo kann man also noch besser werden?

Rachinger: Die Nationalbibliothek ist zum Beispiel dabei, die Kataloge der Porträtsammlung ins Netz zu stellen. Das ist für den Benutzer ein gewaltiger Vorteil. Ab Juli muss man nicht mehr vor Ort recherchieren, ob eine Persönlichkeit überhaupt vorhanden ist. Ein weiterer Schritt wird sein, dass auch die Bilder selbst via Internet zu sehen sind und heruntergeladen werden können. Es wird vom Budget und zusätzlichen Mitteln abhängen, wie schnell man diese Dinge vorantreiben kann. Aber die Digitalisierung ist ja überhaupt ein Fass ohne Boden.

die furche: Sie haben davon gesprochen, ganze Bücher ins Netz zu stellen.

Rachinger: Es ging um die Vision einer Bibliothek. Die wäre natürlich, dass auch die Inhalte im Netz stehen, dass man mit anderen Bibliotheken vernetzt ist, dass Sie von hier aus oder von Ihrem PC auf Bücher der British Library zugreifen können. Aber das wird noch Generationen dauern.

die furche: Heute gelangt jedes neue Buch digitalisiert in die Druckerei, müsste also nicht noch einmal gescannt werden. Denken Sie daran, die Ablieferungspflicht so auszuweiten, dass die Nationalbibliothek die Neuerscheinungen auch in digitalisierter Form erhält und archiviert?

Rachinger: Dafür müsste es eine gesetzliche Grundlage geben.

die furche: Die Nationalbibliothek könnte ja einen solchen Vorschlag machen.

Rachinger: Das regelmäßige Umkopieren wäre natürlich aufwendig. Wir müssen jetzt einmal abwarten, welches Budget wir zur Verfügung haben.

die furche: Für wie lange haben Sie sich verpflichtet?

Rachinger: Ich habe einen Fünf-Jahres-Vertrag, wie bei den ausgegliederten Betrieben heute üblich.

die furche: Ihr Image ist das einer harten Managerin.

Rachinger: Das wird schnell gesagt, bei Frauen natürlich noch schneller. Ich bin zuerst in den Frauenverlag gegangen, weil mich das Verlagswesen an sich interessiert hat und ich mich von Frauenthemen angezogen fühlte, diese Themen sind mir wichtig. Später habe ich im österreichischen Bibliothekswerk in Salzburg, einer Non-Profit-Organisation, gearbeitet. Bei Ueberreuter habe ich gesehen, dass mir auch Management-Aufgaben Spaß machen. Ich habe ja auch außer der Handelsakademie ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen, Theaterwissenschaft und Germanistik. Was mich hier interessiert hat und in der Ausschreibung ansprach, war die wissenschaftliche Arbeit unter den Bedingungen der Vollrechtsfähigkeit. Die Nationalbibliothek ist eine wissenschaftliche Institution, die nur beschränkt zusätzlich verdienen kann. Aber sie hat wunderschöne Räumlichkeiten, die vermietet werden. Das kann man vielleicht noch etwas intensiver betreiben.

die furche: Dabei muss man auch auf das Image achten.

Rachinger: Auf jeden Fall ist die Vermietung ein Profit-Center. Wir haben einen Museumsshop, ebenfalls ein Profit-Center. Den gibt es seit Jahren, er wird aber jetzt professioneller geführt. Vielleicht kann man auch die Besucherzahlen durch bessere Werbung steigern. Das alles muss man sich anschauen, es geht aber nur in einem bestimmten Ausmaß. Ein Profit-Center ist sicher das Bildarchiv. Es gibt vielleicht weitere Bereiche, wo die Nationalbibliothek Rechte verwerten kann. Das wird auch davon abhängen, wie weit diese Bereiche schon digitalisiert sind. Dazu kommt der Bereich des Sponsorings. Ich verweise auf die erfolgreiche Buch-Patenschaft, damit kommt Geld herein, das der Restaurierung der betreffenden Bücher dient. Man kann auch strategische Partnerschaften mit Firmen suchen, die als Förderer die Digitalisierung unterstützen. Doch der wissenschaftliche Auftrag steht im Vordergrund.

Das Gespräch führte Hellmut Butterweck.

Zur Person: Vom Frauenverlag an die Spitze der "NB" Johanna Rachinger ist nicht die erste Frau an der Spitze der Nationalbibliothek, nun aber ist es eine Frau, welche, als Generaldirektorin und kaufmännisch haftbare Geschäftsführerin, die ehrwürdige Institution in Gewässer mit unbekannten und möglicherweise nicht ungefährlichen Strömungen führt. Sie hat sich nicht nur gegen zehn qualifizierte Bewerber durchgesetzt, sie brachte auch die denkbar besten Voraussetzungen mit: Bildungsgang und bisherige Erfolge. Die Kombination einer soliden kaufmännischen Ausbildung mit einem geisteswissenschaftlichen Studium dürfte genau das sein, was Österreichs einstige Hof- und nun für sich selbst verantwortliche Großbibliothek in ihrer Führungsposition braucht. Außerdem hat Johanna Rachinger nach zwei Jobs, die das vielzitierte Engagement erforderten, Österreichs größten Privatverlag saniert, vergrößert und auf Erfolgskurs gebracht.

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