Ein Leben für die Spatzen

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Manche nennen ihn den Vogelpapst. Peter Berthold zählt zu den führenden Vogelforschern weltweit. Seit frühester Kindheit schlägt sein Herz für die gefiederten Mitgeschöpfe. DIE FURCHE besuchte den Wissenschafter an seiner Wirkungsstätte, dem Max Planck Institut für Ornithologie im bayrischen Radolfzelle am Bodensee.

Das alte Jagdschloss liegt auf einer kleinen, waldumsäumten Anhöhe. Seit 111 Jahren beherbergt es Vogelkundler aus aller Welt. Umgeben von alten und modernen Volieren und einem malerischen Teich, zeigt sich dem Besucher eine Oase der Einkehr und Ruhe. Hie und da vernimmt man Vogelgezwitscher. Seit 1967 ist der gräfliche Besitz Arbeitsplatz des Ornithologen Berthold, dessen Kindheitstraum damals in Erfüllung ging. "Nie hätt‘ ich geglaubt, hier mal Direktor zu werden“, kommt Berthold ins Schwärmen, wenn er an seine Schulzeit im ostdeutschen Zittau zurückdenkt. "In Sachsen lebten nicht nur viele Ornithologen, Ornithomanen und Ornithopathen, sondern auch viele Vogelfänger. Ich aber wollte die Vögel nur kurz von der Nähe betrachten, sie studieren und dann wieder freilassen. Aus einem Zigarrenkistl baute ich mir eine ausgeklügelte Falle mit Netz, um den Vogel nicht zu verletzten und Futter war natürlich drinnen.“

Als eines Tages eine beringte Kohlmeise ins Netz ging, schlug die Stunde des jungen Forschers, die er als "Hammererlebnis“ bezeichnet. Der Ring trug eine Kennnummer und die Aufschrift: Germania, Vogelwarte Radolfzell. "Ich war wie vom Donner gerührt, weil ich der Meinung war, diese Kohlmeise legte den langen Weg vom Bodensee bis zu mir nach Hause zurück, wo doch Kohlmeisen Standvögel sind. Und überhaupt. Wer hat solche Ringe, wie bringt man die an? Fragen über Fragen.“ Die Aufregung wich einer gewissen Ernüchterung als sich herausstellte, dass ein Lehrer namens Knobloch von der Nachbarstraße in seiner Freizeit Vögel beringt. Diese Ringe wurden für Sachsen - vor der DDR Zeit - noch in Radolfzell ausgegeben.

Forscher aus Leidenschaft

Als Berthold mit seiner Mutter 1953 nach Baden Württemberg, nur 70 Kilometer entfernt von Radolfzell, übersiedelt, ist es um ihn geschehen. Er radelt zum magischen Ort und getraut sich vorerst kaum die Forscher anzusprechen. Doch dann geht alles Schlag auf Schlag. Noch als Internatsschüler tritt er 1955 der Ornithologischen Gesellschaft bei, lernt das Who Is Who der Ornithologie und Zoologie persönlich kennen: Konrad Lorenz, ab 1961 selbst Direktor der Vogelforschung in Radolfzell, Heinz Sielmann und Ernst Schütz, den späteren Doktorvater Bertholds. Jede freie Minute widmet er sich jetzt der Vogelkunde und erhält 1955 als jüngster ehrenamtlicher Institutsmitarbeiter die Beringungserlaubnis für den Schwarzwald.

Berthold absolviert das kürzeste je in Tübingen abgeschlossene Studium in drei Fächern: Biologie mit Zoologie und Botanik, Geographie und Chemie in zehn Semestern, einschließlich Promotion summa cum laude. Alles andere als selbstverständlich für einen Burschen vom Lande, in dessen Familie es keine Akademiker gibt. Seine Dissertation schreibt der mittlerweile Aufsehen erregende akademische Jungstar über Stare und kehrt nach Forschungsaufenthalten im Ausland als Ornithologe nach Radolfzell zurück. Seit 2004 ist er Emeritus und Ehrenrektor des Instituts. Als angesehener Vogelzugforscher wird er wissenschaftlicher Berater des oscarnominierten Kinofilms "Nomaden der Lüfte“ (2001) und erlangt internationalen Bekanntheitsgrad. Doch Berthold bleibt ein bodenständiger Mensch. Sein Hauptanliegen ist der Artenschutz und das von ihm dafür auserkorene Paradetier geradewegs trivial: der Spatz.

Bedrohter Spatz auf der Vorwarnliste

Der Haussperling (ugs. Spatz), ein reiner Standvogel, den wir vor über 10.000 Jahren begonnen haben an uns heranzuzüchten und "mitzufüttern“, erlebte in den letzten Jahrzehnten einen Rekordrückgang und hat es auf die Vorwarnliste bedrohter Arten geschafft. Vor allem des Verschwinden kleiner Bauernhöfe seit den 1960er Jahren, die zunehmende Zahl von abgeschotteten Schweineställen und das Umsatteln von Pferdewägen auf Traktoren brachten den ersten großen Populationseinbruch. "Pferde pflegen überall ihre Äpfel fallen zu lassen, eine ideale warme Mahlzeit für Spatzen. Darum hielten sie sich auch gerne nahe den Wiener Fiakern auf. Leider verhindern die eingeführten Pooh-Bags, dass die Köstlichkeiten auf die Straße fallen.“ unterstreicht Berthold sein Anliegen "Meine Frau Gabriele Mohr und ich haben eine Hobbyschafhaltung. Die Futterkrippe dient zugleich als Ganzjahresfutterquelle für Spatzen. So konnten die Spatzen wieder Fuß fassen. In nur 20 Jahren konnten wir eine konstante Sperlingspopulation von Null auf 30 aufbauen. Für Spatzen ist es wichtig 365 Tage im Jahr Futter am selben Platz zu haben.“

Weitere Faktoren haben ebenfalls zum Rückgang an Sperlingen beigetragen wie Monokulturen, gepflegte Straßenränder, Parks und Gärten, stetes Rasenmähen und die Unkrautvernichtung (etwa Löwenzahn). Nicht nur die Sämereien gehen dabei verloren, sondern auch der Insektenbestand reduziert sich drastisch. "Früher bezogen Vögel ihr Fett aus Insekten, deren Fettanteil durchschnittlich 40 Prozent beträgt“ kontert Peter Berthold den Kritikern der Ganzjahresfütterung "Daher ist es wichtig, eines zu wissen: Wer bedrohten Arten helfen will, muss vor allem auch im Sommer zufüttern.“

Sperlinge sind Webervögel. Ihr Radius beträgt bloß 50 - 400 Meter. "Sie sind Meister der Improvisation, wenn es um Nistplätze geht“ erzählt Berthold von seinen Beobachtungen. "Sie nehmen einen alten Hut, kleine Mauernischen oder Hecken und werden notfalls auch zu Freibrütern. Aber das Futter ist für den Spatzen die absolute Crux“.

Weltweite Untersuchungen sowie Forschungen am Max-Planck Institut für Ornithologie belegen, dass eine kontinuierliche Ganzjahresfütterung dem Sperlings- bzw. Vogelsterben Einhalt gebietet und den Rückgang stoppt bzw. sogar umkehrt. Sie senkt die Wintersterblichkeit, erhöht die Brutzahlen, führt zu Neuansiedlung von Sperlingspaaren und kommende Generationen profitieren davon. Ein Artenrückgang hat ausschließlich mit der Verfügbarkeit von Futter zu tun. Ein ganzjährig gefülltes Vogelhaus mit Fettblöcken und feinen Getreideflocken birgt mehr Erfolge als der wildeste Ökogarten. "Spatzen lieben auch Meisenknödel. Das ist kein Wunder, denn Fett ist Flugbenzin und wird direkt im Brustmuskel verbrannt“ erklärt Berthold.

Höchster Energieverbrauch im Sommer

Damit ist auch widerlegt, dass im Winter mehr Futterbedarf herrscht als in den Sommermonaten, da Sperlinge die kalte Jahreszeit kaum mit Fliegen verbringen, sondern meist nahe einer Futterquelle auf einem Ast als Ruhekugel sitzen, mit Schlafphasen von rund 15 Stunden pro Tag. Ihre Hauptsorge ist das Halten der Körpertemperatur. Im Sommer hingegen erfordert die Paarungszeit, die Aufzucht der Jungen mit bis zu 500 Nestanflügen pro Tag, das Vertreiben von Feinden, die anstrengende Mauser und das Anlegen von Winterspeck ein hohes Maß an Energie. Selbst in Betonwüsten wie Berlin konnten Versuche belegen, dass sich eine Ganzjahresfütterung gelungen auswirkt und zu einer Neuansiedlung von Sperlingspaaren und anderen, mittlerweile seltenen Arten führt.

Berthold, der auf mittlerweile 60 Jahre intensive Forschungstätigkeit zurückblicken kann, fasst seine Ausführungen folgendermaßen zusammen: "Ich betreibe keine Piepmatzologie! Vogelfüttern ist wichtig für den Artenschutz und erzeugt keine Wohlstandsverwahrlosung der Vögel, das haben wir genau beobachtet. Wann immer es in der Natur ausreichend Futterangebot gibt, greifen die Vögel darauf zurück. Aber aufgrund der von uns verursachten Zerstörung von Lebensräumen und Nahrungsgrundlagen, ist die ganzjährige Zufütterung frei lebender Vögel eine logische Konsequenz und moralische Verpflichtung!“

Vögel füttern - aber richtig

Von Peter Berthold und Gabriele Mohr,

Kosmos-Verlag, 2008.

79 Seiten, brosch., E 7,95

Vogelzug

Von Peter Berthold,

WBG-Verlag 2011.

geb., E 19,00

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