Früchte der Gehirnforschung

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Der "Neuro-Boom“ hat eine Vielzahl neuer Fächer hervorgebracht - und verlangt verstärkt nach fächerübergreifender Kooperation.

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Der "Neuro-Boom“ hat eine Vielzahl neuer Fächer hervorgebracht - und verlangt verstärkt nach fächerübergreifender Kooperation.

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Das menschliche Gehirn ist keine unantastbare Größe mehr. Wir halten den Schlüssel zur Veränderung des Bewusstseins, zur Erosion des Individuums in der Hand.“ Dermaßen euphorisch jedenfalls sah die britische Pharmakologin Susan Greenfield vor gut zehn Jahren die Auswirkungen der Hirnforschung für die Zukunft der technologischen Entwicklung. Im Kampf um wissenschaftliche Deutungshoheit ist die Gehirnforschung seit Ende des 20. Jahrhunderts zu einem bislang ungeahnten Höhenflug angetreten. Neue Erkenntnisse in der Neurobiologie sowie hochauflösende Verfahren zur Bildgebung des Gehirns haben dafür die Grundlage bereitet. Nicht nur die Gehirnstruktur, auch die Nervenaktivität in einzelnen Gehirnregionen können heute abgebildet werden. Unterschiedlichste Geistesverfassungen lassen sich somit auf bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn beziehen.

Neuro-Marketing

Im Zuge dieser neurowissenschaftlichen Euphorie schossen neue Disziplinen wie die Pilze aus dem Boden: Neuropädagogik und Neurodidaktik etwa bemühen sich darum, das Lernen von Kindern und Jugendlichen über die Hirnentwicklung besser zu verstehen, um Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen angemessener auszurichten. Wie Menschen sich im Wirtschaftsleben verhalten, wie sich das Konsumverhalten beeinflussen lässt und wie die Werbung den Weg in unsere Gehirne finden soll, zählen zum Erkenntnisinteresse der Neuro-Ökonomie und des boomenden Neuro-Marketings. Für die Neuro-Politik wiederum scheint interessant, ob "linke“ und "rechte“ Wähler im Gehirn womöglich anders ticken. Im Bereich der Kunst haben manche Neurowissenschafter die hehre Frage nach dem Schönen entdeckt und versuchen unter anderem herauszufinden, wie die Malerei das Gehirn stimuliert. Auch das Religiöse weckte großes Interesse bei umtriebigen Gehirnforschern: Mit dem Begriff der "Neurotheologie“ wurde ein weites Forschungsfeld eröffnet, in dem über neurobiologische Auswirkungen religiöser Praktiken wie Meditation oder Gebet ebenso spekuliert wurde wie über den Stellenwert von Religion im Laufe der menschlichen Evolution.

Forschungspotenzial in Österreich

Dass die oft verstiegenen Theorien dieser neuen Disziplinen teils heftige Kritik in Wissenschaft und Medien hervorgerufen haben, verwundert nicht wirklich. Andererseits kann die Gehirnforschung tatsächlich in viele Wissensbereiche eine ergänzende Perspektive einbringen oder zur Beweisführung durch "harte“ Naturwissenschaft beitragen. Und nicht zu vergessen ist, dass der essenzielle Nutzen der Gehirnforschung dort zu erhoffen ist, wo er am dringendsten benötigt wird: bei kranken und schwerstkranken Menschen.

Um das Forschungspotenzial auf diesem Gebiet zu bündeln, wurde in Österreich im Jahr 2005 die Initiative Gehirnforschung Steiermark (INGE St.) als interdisziplinäre Plattform der Neurowissenschaften ins Leben gerufen. Die Zusammenarbeit von technischen, natur- und geisteswissenschaftlichen Forschern trug zur Gründung von "BioTechMed“ bei, der Vernetzung von der Karl-Franzens-, Technischen und Medizinischen Universität in Graz im Zeichen der Gehirnforschung. "Zu den Zielsetzungen zählt auch die Reflexion der sozialen Auswirkungen neurowissenschaftlicher Forschung und der ethischen Verantwortung der beteiligten Wissenschafter“, betont Peter Holzer, Vorstandsvorsitzender der INGE St. von der Medizinischen Universität Graz.

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