„Wir müssen weg vom Öl“

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Der Meeresbiologe Gerhard Herndl über die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, Bakterien als natürlicher Schutzschild gegen die Folgen und das schlechte Krisenmanagement von BP.

Der Meeresbiologe Gerhard Herndl vergleicht die Ölpest im Golf von Mexiko mit einem riesigen Waldbrand. Die Katastrophe sei aber bewältigbar. Ein FURCHE-Gespräch über die Abwehrkräfte der Natur und die Profitgier der internationalen Ölgesellschaften.

Die Furche: Die Ölpest im Golf von Mexiko wird in den USA als die größte Umweltkatastrophe der Geschichte des Landes bezeichnet. Nach jüngsten Berichten strömen pro Tag 16 Millionen Liter Rohöl ins Meer. Allein die Menge des bisher ausgetretenen Öls übersteigt die Exxon-Valdez-Katastrophe um das mindestens 17-fache.

Gerhard Herndl: Wir reden immer von diesen immensen Zahlen. Gehen wir einmal von den 16 Millionen Litern aus, die derzeit in den Medien stehen. Haben Sie eine Vorstellung, wie viel das ist?

Die Furche: Unter welcher Bezugsgröße?

Herndl: Sagen wir das Fassungsvermögen des Wiener Stadthallenbads.

Die Furche: Geschätzt hundert Mal.

Herndl: Das meinen auch die meisten meiner Studenten. In Wirklichkeit sind es nur acht Mal. Ich will damit nicht sagen, dass das wenig ist. Wir sollten nur die Dinge sehen, wie sie sind. Derzeit sehen wir katastrophale Momentaufnahmen mit all den toten Tieren und verseuchten Stränden. Aber das heißt nicht, dass das Jahrzehnte so bleibt.

Die Furche: Die Exxon-Valdez-Katastrophe an der Küste Alaskas ist bis heute noch nicht überwunden. Müssen wir nicht von weitaus schlimmeren Szenarien im Golf von Mexiko ausgehen?

Herndl: Nein. Was im Golf von Mexiko passiert lässt sich nicht mit der Exxon-Valdez-Katastrophe vergleichen. In warmen Meeren wird Rohöl auf natürlichem Weg viel schneller abgebaut als in kalten Gewässern. Vor Alaska verläuft dieser Prozess sozusagen wie im Kühlschrank ab, extrem langsam. Deshalb sind Ölbohrungen in Polarregionen besonders gefährlich.

Die Furche: Welche Organismen zersetzen das Öl?

Herndl: Das machen spezielle Bakterien und das Sonnenlicht. Das Öl ist chemisch gesehen eine Kohlenwasserstoffverbindung. Die Mikroorganismen ernähren sich von Kohlenstoff. Sie spalten die Ölmoleküle auf. Was bleibt, sinkt in Klümpchen auf den Meeresboden. Auf diese Weise werden jährlich auch über 1,3 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet, die aus natürlichen Unterseequellen ins Meer gelangen. Es wäre also gut diese Bakterien zu animieren.

Die Furche: Wie wäre das möglich?

Herndl: Diese Mikroorganismen (Alcanivorax, Cycloclasticus, Thalassolituus, Anm.) arbeiten am besten wenn Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor in einem Verhältnis von zirka 50 zu 10 zu 1 zueinander stehen. Auf ein solches Gleichgewicht müsste man die Nährstoffkonzentrationen einstellen. Kollegen sprechen von der Möglichkeit der „Düngung“ mit den entsprechenden Stoffen, um das Bakterienwachstum zu fördern.

Die Furche: Wie lange dauert der Zersetzungsprozess im Optimalfall?

Herndl: Wir können als Beispiel die Ölpest im Persischen Golf während des Golfkriegs 1991 nehmen. Das Wasser ist dort an der Meeresoberfläche ähnlich warm, wie im Golf von Mexiko. Die Menge des Rohöls, die Saddam Hussein damals ins Meer leiten ließ, war noch größer, als jene im Golf von Mexiko. Auch damals war die Angst vor einem „toten“ Meer groß. Aber nach vier Monaten war das Öl organisch abgebaut.

Die Furche: Trotzdem ist der ökologische Schaden einer Ölpest enorm.

Herndl: Auf See betrifft das vor allem die Meeressäuger, an den Küsten vor allem Seevögel und all die bodenlebenden Organismen, etwa Korallenriffe. Delphine und Wale müssen an die Meeresoberfläche kommen, um Atem zu holen. So kommt Öl in die Lungen und die Tiere sterben. Die großen Fischschwärme hingegen weichen aus. Sie haben meist sehr gute chemosensorische Organe.

Die Furche: BP versucht bewusst, das Öl mithilfe von Chemikalien unter die Wasseroberfläche zu drücken. Ist das ein wirkungsvoller Ansatz?

Herndl: Nein. Je tiefer die Wasserschicht, desto tiefer ist die Temperatur. Desto länger brauchen auch die Bakterien für die Ölaufspaltung. Das ist eigentlich schädliche Kosmetik.

Die Furche: Vor Kurzem kursierten Informationen, der Golfstrom könnte das Öl bis an die Küsten Europas tragen. Ist das ein realistisches Szenario?

Herndl: Nein. Der Golfstrom fließt mit einer Geschwindigkeit von etwa 5 km/h, also 120 km pro Tag an der Wasseroberfläche, darunterliegende Wasserschichten fließen wesentlich langsamer. Bis es vom Golf den Atlantik überquert hat, ist das Öl längst aufgespalten und von Bakterien zersetzt.

Die Furche: Dann bleiben die Hauptbetroffenen die Meeresbewohner und Fischer im Golf von Mexiko sowie die Ökosysteme an der Küste der USA. Dort wird die Regeneration viel länger dauern.

Herndl: Ja, an der Küste gibt es massive Schäden. Allein die Erholung der Mangrovenwälder im Mississippi-Delta wird sicher über zehn Jahre dauern. Das ist einem Waldbrand vergleichbar. Zunächst ist alles tot, erst nach und nach wird die Region wieder besiedelt. Leichter ist es bei den weiten Sandstränden am Golf von Mexiko. Dort ist das Öl leichter abzutragen, als an einer Felsenküste. Das ist in der gegebenen Situation ein Vorteil.

Die Furche: Sie haben von Alaska gesprochen. Wenn die Gefahr von Ölverschmutzung dort viel größer ist als in wärmeren Meeren, warum wird dort weiter gefördert?

Herndl: In der Ölindustrie unterliegt alles der Gewinnmaximierung, die Gefahren für die Umwelt werden beiseite geschoben. So ist es mit den Ölfeldern am nördlichen Polarkreis. So ist es aber auch bei der gegenwärtigen Katastrophe. Dieses Unglück wäre nicht notwendig gewesen, hätte man nicht nur auf den Profit geachtet, sondern auch auf die Sicherheit.

Die Furche: Was wären die nötigen Konsequenzen daraus?

Herndl: Die einzig nachhaltige Antwort wäre, die Energieversorgung generell umzustellen, weg vom Öl. Obama tut sich schwer, seine Pläne umzusetzen. Aber im Grunde hat er ganz recht mit seinem Ruf nach einer Energiewende. Die Ölpest wird trotz der aktuellen Betroffenheit bald vergessen sein. Die Industrie und ihre Interessen und das Risiko aber bleiben. Man wird auch weiter in der Arktis Ölfelder erschließen. Empört zu sein ist also leicht, aber nun sollte man die Empörung kanalisieren.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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