Nun geht mein Autobus ab, und wir fahren durch Stammersdorf die Steigung der langen Kellergasse aufwärts. Der letzte Heurige an ihrem Ende liegt mitten im Weingarten; die Tische und Bänke, leer in der Morgensonne des Feiertages, werden von dichtstehenden Weinstecken bedrängt, günstig „zum Anhalten“ für Taumelnde... Wir kommen ins Freie. Beiderseits Akaziengebüsch, die Weinriede schützend, welche sich in ihrem Tauglanz links zum Bisam-berg sehr sanft hinauf und rechts zum tiefsten Teil des Marchfelds sehr sanft hinabziehen. Mitten in der flimmernden Weinflut eine Haltestelle an einem
Das sind die Dörfer, die verlorenen, geduckt in der großen Tiefebene zwischen Donau, Drau und Save. Aus Lehm geformte Häuschen, windschief mit Binsen gedeckt, umgeben von Blumen- und Küchengärten, Akaziendschungeln, inmitten einer unabsehbaren Fruchtbarkeit ohnegleichen: Weizen, Pflaumen und Mais, Mais. Doch zu allen führt der Autobus hin, nord- und südwärts der großen Eisenbahnlinie Zagreb—Beograd, die auf hori* zontisch schnurgerader Strecke in aufwallendem Staub verschwindet, grauen Windhosen gleich. Einmal ist es ein primitiver, dahinrumpelnder Autobus (Vukovar—Ilok, Donaufähre), das andere Mal der modernste Autocar (Osijek—Batina, ebenfalls Donaufähre), mit rotsamtenen Fauteuils, die bequemen Kopfstützen mit weißem Leinen überzogen wie in der ersten Bahnklasse, und vorne über dem Fahrer, sichtbar all dem mit Sack und Pack gedrängten Bauernvolk, das Radio, Märsche und Volkslieder tönend, und der TV-Apparat.
Es ist jede Wette zu halten, daß etwas, was heißt etwas, daß alles „durchgeführt“ wird. Man blicke in die Zeitungen, man drehe Radio oder TV auf, und schon liest oder hört man in den ersten Sätzen, ob die Schreiber nun Leitartikler, Wirtschafter, Lokalreporter, Politiker, Professoren, Sportler oder ob sie die Sprecher der Massenmedien sind, daß sie sich im „Durchführen“ geradezu überschlagen. Kaum ein Absatz — schon Karl Kraus hat gesagt: Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz —, in dem nicht durchgeführt oder etwas zur Durchführung gebracht wird. Deutsche Sprak sein zwar schwere Sprak, gewiß — aber keine arme, und das ist auch gewiß.
„Ehre und bewundere den Wal, o Mensch, und nimm ihn dir zum Vorbild! Bleib auch du warm mitten im Eise! Lebe auch du in dieser Welt und sei ihr doch nicht Untertan! Erhalte dir am Pol dein strömend warmes Blut und am Äquator deinen kühlen Kopf! Bewahre, wie Sankt Peters mächtige Kuppel und wie der große Wal, in allem Wechsel der Zeit dein eigenes unwandelbares Klima!“
Von Thomas Mann gibt es ein wenig bekanntes Wort über Walt Whitman. Es ist nachzulesen in dem ebenfalls viel zu wenig bekanntgewordenen Buch „Spektrum. Amerika“ (Herausgeber Wulf Stratowa unter Mitarbeit von Ernestine Wels, Manutiuspresse, Wien 1964), einem Sammelband, in welchem 141 Dichter und Denker, unter ihnen 14 Nobelpreisträger, aus 16 europäischen Ländern über Amerika von 17T6 bis in die jüngste Gegenwart eine Fülle hervorragender Arbeiten veröffentlichen. Thomas Mann also sagt über Walt Whitman: „Für mich ist sein Werk ein wahres Gottesgeschenk, denn ich sehe wohl, daß, was Whitman Demokratie nennt, nichts anderes ist, als was wir, altmodischer, Humanität nennen; wie ich auch sehe, daß es mit Goethe allein dennoch nicht getan sein wird, sondern daß ein Schuß Whitman dazugehört, um das Gefühl der neuen Humanität zu gewinnen: zumal sie viel gemeinsam haben, die beiden Väter, vor allem das Sinnliche; die Sympathie mit dem Organischen...“
Nicht unähnlich unseren stürmischen, wechselvollen Zeitläuften waren, nur in kleineren Maßstäben, die Verhältnisse in England zur Zeit des alten schottischen Königsgeschlechts der Stuart (eigentlich eine Verballhornung von Steward, heute Aufwärter, Kellner, damals höherer Aufseher, Reichshofmeister): alle Augenblicke Rebellionen, andere Regierungen und Religionskämpfe, eine Zeit, wo sich die echten von den falschen Charakteren schieden. Jene machten aus ihrem Herzen keine Mördergrube, diese richteten es sich. Zu diesen gehörte Jonathan Swift, Vorkämpfer der Staatskirche, der